Ein Gesicht, ein Körper: Die Gemälde und Zeichnungen der Österreicherin Maria Lassnig (1919–2014) sagen viel über die Befindlichkeit der Künstlerin aus. Aber nicht nur. Sie vermitteln dem Betrachter gleichzeitig viel über sich selbst. Je nach Seelenzustand leidet man an ihren Werken, findet sie geschmacklos oder amüsant.
Kaum eine Künstlerin weckt so viele Emotionen wie Lassnig. Ihre Bilder erzählen ganze Geschichten und fordern vom Betrachter doch nur das Banalste ein: Der Mensch soll einen Menschen betrachten – allerdings einen entstellten.
Kunstmuseum St. Gallen zeigt frühe Werke
Die Kunstmuseen Basel und St. Gallen präsentieren nun Werke von «unser aller vergötterten österreichischen Malerin», wie die Wiener Tageszeitung «Die Presse» schrieb und hinzufügte: «Persönlich war sie so schwierig wie künstlerisch grandios.» Tatsächlich legte sich Lassnig bis ins hohe Alter mit allen öffentlich an, die ihr nicht passten.
Unter dem Titel «Be-Ziehungen» zeigt das Kunstmuseum St. Gallen selten ausgestellte Werke aus der Frühzeit, welche die Entwicklung der Künstlerin erläutern. Im Basler Kupferstichkabinett ist die Retrospektive «Zwiegespräche» zu sehen mit rund 80 Zeichnungen und Aquarellen.
«Selbstempfindung auf Papier gebannt»
Mit den sperrigen Begriffen «Körperbewusstseinszeichnungen» oder «Körperempfindungsbildern» versuchte die Kunstkritik – und Lassnig selbst – ihr Werk zu erfassen. «Nicht was sie sah, sondern wie sie sich spürte, wurde zum Bild», heisst es im Basler Ausstellungstext. Sie machte die körperlichen Emotionen sichtbar: «Humorvoll und ernst, sehnsuchtsvoll und gnadenlos bannte die österreichische Künstlerin ihre Selbstempfindung auf das Papier.»
Maria Lassnig wuchs in prekären Verhältnissen in Kärnten bei der Grossmutter und der Mutter auf, die allerdings ihr künstlerisches Talent entdeckte. Ohne einen fachpsychologischen Anspruch zu erheben, liegt die Interpretation nahe, dass ihre frühe schwierige Kindheit in Lassnigs Malerei Spuren hinterlassen hat.
Ihre Ausbildung erhielt sie in der Zeit des Nationalsozialismus: Die junge Frau war keine Oppositionelle, sondern versuchte, möglichst unauffällig zu überleben. Nach dem Krieg kam sie nach Paris. Das war ihre grosse Zeit. Sie verkehrte in den Kreisen des Surrealisten André Breton und des Lyrikers Paul Celan. Während Jahren pendelte sie zwischen Wien und Paris.
Lassnigs Frauenbilder sind anti-patriarchalisch. Sie verstand sich jedoch nicht als Feministin, und sie sah sich als unpolitischen Menschen.
Filmische Biografie voller Selbstironie
Neben der Zeichnung und der Malerei wandte sich Maria Lassnig auch dem Film zu. Ihre bekannteste Produktion heisst «Kantate» und erzählt ihre eigene Biografie. Sie ist heute auf Youtube zu sehen. Lassnig trägt in diesem Film im Stil einer Bänkelsängerin 14 Strophen vor, schmerzhaft falsch gesungen. Im Hintergrund illustrieren karikaturenhafte Zeichnungen ihren Lebenslauf. Sie freut sich darin, «dass sie besser malt als mancher Mann». Und sie stellt fest, dass die Ehe nichts für sie ist, obwohl «mancher um meine Hand angehalten hat». Mit triefender Selbstironie berichtet sie von ihrem schwierigen Elternhaus, über eine Klosterschule mit fürchterlichen Nonnen bis zu ihrer wilden Zeit in Paris.
Lassnig war 73 Jahren, als sie den «Kantate»-Film aufnahm. Ihr Alter besang sie so: «Statt der Liebe habe ich jetzt einen Fernseher.» Aber: «Es ist die Kunst jaja, sie macht mich immer jünger, sie macht den Geist erst hungrig und dann satt.» Der Film bringt dem Zuschauer Maria Lassnig näher, deren Malerei zum Teil schwer zugänglich ist. Und er ist witzig: «Mehr Monty Python als Simone de Beauvoir», urteilte der «Guardian».
Ausstellungen
Be-Ziehungen
Bis So, 23.9.
Kunstmuseum St. Gallen
Zwiegespräche
Sa, 12.5.–So, 26.8.
Kunstmuseum Basel
Film: Kantate
www.youtube.com !«Maria Lassnig Kantate» eingeben