Hier schreibt einer etwas ungelenk, aber umso eindrücklicher: «Trotzdem ich nicht weit in der Welt mich habe umsehen können, habe ich doch ein innerlich bewegtes Leben hinter mir & ob es mir gelingt, mich zukünftig mehr der Kunst widmen zu können, wird die Zeit lehren.» Das ist ein Auszug aus dem selbst verfassten Lebenslauf des Thurgauer Künstlers Adolf Dietrich vom 15. Januar 1919. Er sollte noch mehr als 30 Jahre leben und dennoch nicht viel weiter in der Welt herumkommen.
Seine Heimatgemeinde als Lebensmittelpunkt
Das Zürcher Kunsthaus erinnert nun in einer neuen Ausstellung mit Werken aus der Sammlung an die gegenständlichen Künstler, die die Moderne mitprägten. Neben den Abstrakten als Wegweiser erfassten sie die Wirklichkeit mit präzisem Strich und verfremdeten sie. Sie interpretierten das Abbild des Gegenständlichen und überhöhten es, um es in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Neben dem Basler Niklaus Stoecklin entwickelte der Thurgauer Autodidakt Adolf Dietrich (1877–1957) darin eine Meisterschaft. Im Gegensatz zu Stoecklin verstand Dietrich jedoch seine Kunst nicht als Gesellschaftskritik. Laut dem Dietrich-Experten Willi Tobler kommt die damalige Bedrohung bei diesem Maler «überzeitlich» zum Ausdruck: «Der Betrachter ist einem aufziehenden Gewitter, bedrohlichem Nachthimmel oder dramatischem Gewölk unmittelbar ausgesetzt.»
Dietrichs Lebensmittelpunkt war stets Berlingen, die kleine Thurgauer Gemeinde am Untersee. Hier kam er als siebtes Kind einer Grossfamilie zur Welt und musste nach einer kurzen Schulbildung zum Einkommen beitragen als Wald- und Textilarbeiter. Tatsächlich war ihm jedoch die Malerei das grösste Anliegen; er investierte jede freie Minute in seine Berufung.
Der scheue Dietrich konzentrierte sich auf seinen Mikrokosmos. Er lebte mit seinen Eltern und blieb nach ihrem Tod in seinem Geburtshaus. Seine Kunst fand nur langsam Beachtung, zuerst vor allem in Deutschland, später in der Schweiz. Mitte der 1920er-Jahre konnte er von der Malerei leben, auch wenn ihn diese nicht reich machte.
Der künstlerische Durchbruch dieses Malers aus der Provinz ist beachtlich, wie Markus Landert, Kurator des Thurgauer Kunstmuseums in der Kartause Ittingen, schreibt: «Das grosse Interesse an Dietrichs Werk in der Zwischenkriegszeit erklärt sich mit den Flügelkämpfen der damaligen Kunstszene. Nach dem Ersten Weltkrieg stritten in den europäischen Kunstmetropolen verschiedene Strömungen um Einfluss und Aufmerksamkeit.» Dietrichs Bilder seien damals von Kritikern als Beispiel für einen «rein sachlichen Ausdruck» gesehen worden. Er habe «unbefleckt von jedem akademischen Manierismus eine unverfälschte Natürlichkeit vertreten».
Auf dem Weg zur Anerkennung
Das Porträt mit dem Mädchen in der gestreiften Schürze illustriert diese «Natürlichkeit»: Es zeigt ein ernsthaftes Kind, von naiver Unbeschwertheit ist nichts zu spüren. Der Betrachter erkennt, dass die Porträtierte bereits in jungen Jahren mit den Unbilden des Lebens konfrontiert wurde. Im Vergleich dazu sind die Bilder des Belgiers René Magritte und des Franzosen Henri Rousseau verspielter; der Fantasie gönnten sie einen grosszügigeren Auslauf.
Adolf Dietrich kannte seinen künstlerischen Wert. Er war keineswegs der stille Schaffer im Kämmerlein, sondern wollte Anerkennung. Bereits 1907 bemühte er sich um Ausstellungsmöglichkeiten und suchte nach Gelegenheiten, um seine Werke zu verkaufen, wie Landert festhält. Aber seine Anfragen bei den Kunsthäusern in Zürich, Winterthur und Konstanz wurden abschlägig beantwortet. Schliesslich lud ihn der Kunstverein Konstanz kurz vor dem Ersten Weltkrieg zu einer Ausstellung ein. Der erste, wichtige Schritt war getan. Jetzt erhielt Dietrich sogar Aufträge. Im Gegensatz zu vielen Avantgardisten jener Zeit wurde seine Arbeit wenigstens verstanden.
Magritte, Dietrich, Rousseau.
Visionäre Sachlichkeit
Fr, 9.3.–So, 8.7.
Kunsthaus Zürich