Rosi und Anna sind am gleichen Tag geboren, auf dem Steinhuserberg im Napfgebiet, in der Gemeinde Wolhusen, am 4. September 1873. Und beide werden zeitgleich sterben, 75 Jahre später, am 18. August 1948. Dazwischen liegen Schicksalsjahre von zwei Frauen, die zusammen aufgewachsen sind, die eine als Halbwaise. Sie sind sich nahe, wie Zwillingsschwestern.
Ein schönes Stück Lebensweg gehen sie gemeinsam. Sie wachsen in einer gottesfürchtigen Gegend auf, geprägt von Religion und Volksglauben, die den Alltag durchdringen. Das bäuerliche Leben ist hart und entbehrungsreich. Die Landschaft ist prägend: «Dort, wo wir wohnen, sind die Täler ohne Schrecken. Das Unheil lauert in den Flühen, weil von hier die Unwetter kommen», heisst es. Und: «Es stimmt, dass die Landschaft mithilft, einen Menschenschlag zu formen. Gefragt hat uns niemand, ob wir durch die Tiefen gehen wollen, bevor wir die Höhen erreichen.»
Mit 15 werden Rosi und Anna vom Pfarrer «ins Habsburgische vermittelt». Beide werden bei einer Apothekerfamilie in Wien verdingt. Anna kehrt auf den Steinhuserberg zurück, heiratet, bekommt viele Kinder und verliert einige früh. Ihr Heimetli brennt ab, und der dem Schnaps zugeneigte Ehemann Veri wird vom Blitz erschlagen.
Rosi ist auf ihre Art vom Schicksal verfolgt: Sie leidet an einer Schilddrüsenerkrankung. Eine Operation kann sie sich zeitlebens nicht leisten, um vom Kropf befreit zu werden. Dennoch wird sie, spät, in der Nähe der Heimat ein kurzes Glück beim Bauern Johann finden.
«Rosi und Anna» ist eine Art Heimatroman der unkitschigen Art. Fast schon ethnografisch taucht die 1945 geborene Autorin in ihre Erzählwelt ein. Sie gibt in einer mit Mundartwörtern gespickten, einfachen Sprache Einblicke in eine fromme Lebenswelt voller Schicksalsergebenheit. Entrinnen können ihr die Protagonistinnen nicht.
Buch
Lydia Guyer-Bucher
«Rosi und Anna»
175 Seiten
(Pro Libro 2015).