Britische Privatschulen sind enorm teuer, aber für das ganze Leben prägend. Nicht, weil die Schüler viel lernen würden, sondern: «Man geht vier oder fünf Jahre durch die absolute Hölle, in einem Alter, in dem das Leben ohnehin eine Hölle ist, und von da an lässt einen das System nicht mehr fallen.» Das schreibt der konservative englische Schriftsteller Evelyn Waugh (1903–1966) in seinem 1928 erschienenen Roman «Verfall und Untergang», der jetzt bei Diogenes in neuer Übersetzung herausgekommen ist. Waugh kennt man ausserhalb Englands vor allem für seinen Roman «Wiedersehen mit Brideshead», dessen BBC-Verfilmung mit Jeremy Irons weltberühmt wurde. Doch Waugh ist mehr als «Brideshead», wie diese Gesellschaftssatire belegt.
Der junge Paul Pennyfeather fliegt aus seinem College in Oxford. Er hat sich «unangemessen benommen», weil er nackt über das Unigelände rannte, um seine gestohlenen Kleider zu suchen. Pennyfeather sieht sich gezwungen, ohne Abschluss eine Stelle als Lehrer anzutreten, was sich als überraschend einfach erweist.
Die etwas dubiose Privatschule Llanabba in Wales engagiert ihn, denn dort wird jegliche fachliche Qualifikation als hinderlich angesehen. Die Jungen sollen einfach bei Laune gehalten werden, damit ihre Alten möglichst lange bezahlen. Zyniker, Alkoholiker und Pädophile bilden den Lehrkörper; Pennyfeather fühlt sich sogleich willkommen in diesem sonderbaren Kreis, den er in seiner Naivität nicht durchschaut.
Ein Elternbesuchstag endet für die Schule zwar in einer Katastrophe, aber nicht für Pennyfeather: Er verguckt sich in die Mutter eines Zöglings, die wohlbetuchte Honourable Mrs Margot Beste-Chetwynde, die gerade nach einem neuen Liebhaber Ausschau hält. Der junge Lehrer greift zu, ahnt allerdings nicht, dass die Honourable Lady ihr Einkommen aus den Erträgen lateinamerikanischer Bordelle finanziert. Das Schicksal will es, dass Pennyfeather deswegen in die Fänge der Justiz gerät. Aber keine Bange, das System rettet jeden, auch wenn er gerade in einer Zelle schmort.
Evelyn Waughs Roman ist ein Buch für Freunde der bissigen englischen Romansatire, wie man sie bei Autoren wie Graham Greene und vor allem P.G. Wodehouse kennt. Autor Waugh war ähnlich wie Wehrmachts-Kollaborateur Wodehouse eine umstrittene Persönlichkeit. Der aus wohlhabender Familie stammende Waugh konvertierte mit 27 Jahren zum Katholizismus. Schnell musste die Kirche dem Geschiedenen eine erste Ehe annullieren, damit er wieder heiraten konnte. Waugh entwickelte sich in späteren Jahren zu einem stockkonservativen Einzelgänger, der Diktatoren wie Benito Mussolini oder Franco bewunderte – und einen Hang zum Antisemitismus hatte.
Evelyn Waugh
«Verfall und Untergang»
298 Seiten
Deutsche Erstausgabe: 1953
Heute erhältlich bei Diogenes.