Lukas Hartmann - Von Räubern und ihren Häschern
Fahrende legen sich Ende des 18. Jahrhunderts mit dem absolutistischen Herrscher von Baden-Württemberg an. Lukas Hartmann hat ein Drama in Romanform geschrieben – «Räuberleben».
Inhalt
Kulturtipp 05/2012
Rolf Hürzeler
Der Galgen winkt: «Man weist den Sinti Plätze zu, von denen aus man das Gerüst gut sieht, an dem die vier Stricke hängen.» Bald schon baumeln Hannikel und seine Genossen im Sonnenlicht; nach der Hinrichtung ziehen dunkle Wolken auf. Das ist das Ende der Geschichte vom «Räuberleben», dem neuen Roman des Berner Schriftstellers Lukas Hartmann.
Historisch verbürgt
Er hat das historisch verbürgte Dra...
Der Galgen winkt: «Man weist den Sinti Plätze zu, von denen aus man das Gerüst gut sieht, an dem die vier Stricke hängen.» Bald schon baumeln Hannikel und seine Genossen im Sonnenlicht; nach der Hinrichtung ziehen dunkle Wolken auf. Das ist das Ende der Geschichte vom «Räuberleben», dem neuen Roman des Berner Schriftstellers Lukas Hartmann.
Historisch verbürgt
Er hat das historisch verbürgte Drama des Räubers Hannikel und seiner Sippe in einem neuen historischen Roman zusammengefasst. Diese Sinti liessen sich zwar von der Staatsmacht des absolutistisch herrschenden Herzogs Carl Eugen von Württemberg nicht einschüchtern. Doch ein ehrgeiziger Oberamtmann entwickelte kriminalistischen Eifer und bekam sie zu fassen. Er brachte vier von ihnen wegen Mordes an den Galgen. Lukas Hartmann hat die Geschichte aus dem Blickwinkel des fiktiven Amtsschreibers Wilhelm Grau in Sulz bei Freudenstadt geschrieben, eines ziemlich aufgeklärten, wachen Geistes.
Der Autor beschreibt, wie die Fahrenden ihren obrigkeitlichen Häschern immer wieder entkommen. Zuletzt suchten sie das Weite im Kanton Graubünden, dem damaligen «Athen der heutigen Gauner» (Schiller). Anscheinend fühlten sich Hannikel und seine Gefährten in jenem «Athen» jedoch zu sicher. Die Bündner nahmen sie fest und lieferten sie den Deutschen aus. Der unmenschliche Herzog Carl Eugen hätte es zwar in der Hand gehabt, die vier zum Tod Verurteilten zu begnadigen, doch er verzichtete darauf: Abschreckung muss sein.
Hartmann hat ein historisch akkurates Buch geschrieben. Er erzählt die Geschichte wie immer flüssig und spannend. Allerdings leuchtet er die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse in jener Zeit des Umbruchs Ende des 18. Jahrhunderts nur streckenweise aus, etwa wenn der Herzog Carl Eugen eine Erziehungsanstalt besucht.
Die Charaktere gehen dem Leser zum Teil ans Herz, auch wenn sie teilweise etwas gar holzschnittartig daherkommen – Fahrende als Opfer gefühlsloser Bösewichte. Sehr überzeugend ist allerdings die Figur des Amtsschreibers Grau. Sie macht nachvollziehbar, wie ein aufgeklärter Geist jener Zeit mit der repressiven Obrigkeit in Loyalitätskonflikte kommt. Alles in allem: Eine lockere und unterhaltsame Lektüre – Geschichtslektion inklusive.
Die historischen Protagonisten in «Räuberleben»
Hannikel
Der als «Räuber» gefürchtete Hannikel stammte aus dem Elsass. In den 70ern des 18. Jahrhunderts zog er als Anführer mit seinen Genossen in Baden-Württemberg durchs Land: Sie überfielen in der Regel Juden und evangelische Kirchenleute. Das schützte sie vor den Zugriffen der Obrigkeit. Doch die Ermordung eines Grenadiers 1786 war ein Frevel zu viel: Der Oberamtmann Jacob Georg Schäffer organisierte eine gross angelegte Hatz auf die Fahrenden. Hannikel und ein paar seiner Genossen schafften die Flucht in die Schweiz. Sie wurden im Sommer 1786 bei Untervaz festgenommen und in Chur in Haft gesetzt. Zwar gelang Hannikel kurzzeitig die Flucht. Doch er endete wieder im Kerker. Nach einem aufwendigen Prozess kam Hannikel mit drei seiner Freunde am 17. Juli 1787 an den Galgen.
Oberamtmann Jacob Georg Schäffer
Der Süddeutsche gilt nach Wikipedia als «erster moderner Kriminalist». In dieser Darstellung war er ein sozial denkender Justizbeamter, der Herkunft und Erziehung von Gesetzesbrechern zu würdigen versuchte. In Hartmanns Buch kommt Schäffer allerdings als ein hartnäckiger und pedantischer Hüter von Gesetz und Ordnung daher. Er erliegt geradezu fanatisch dem Willen, Hannikel und die Seinen an den Galgen zu bringen.
Carl Eugen, der 12. Herzog von Württemberg
Der absolutistische Carl Eugen kam bereits als Kind auf den Thron und übernahm 1744 im Alter von 16 Jahren die Regierungsverantwortung. Er verkannte während Jahrzehnten die Zeichen der Zeit und blieb ein kleinkarierter, wenig gebildeter Reaktionär. Seine grösste Errungenschaft ist die anerkannte Vaterschaft von angeblich 77 Söhnen, über die Anzahl
Mädchen ist nichts bekannt. Carl Eugens Rolle gegen Ende des 18.Jahrhunderts ist kontrovers. Seine zweite Frau Franziska von Hohenheim, eine frömmelnde Kleinadlige, stimmte ihn etwas milder, und er politisierte anscheinend aufgeklärter. Bei Hartmann ist Carl Eugen allerdings ein versoffener Popanz, der sich von einer Lebenslüge zur nächsten schwindelt – unbelastet von jeglicher Humanität.
[Buch]
Lukas
Hartmann
«Räuberleben»
346 Seiten
(Diogenes 2012).
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