Und dann geschah es doch noch. Das diesjährige Thema «Humor» am Lucerne Festival im Sommer schien – in der letzten Woche – erstmals zu greifen: Der ganze Konzertsaal lachte. Just, als alles still auf den Vorstellungsbeginn wartete, musste ein Konzertbesucher herzhaft niesen.
Wer wollte, der konnte diesen Sommer in Luzern witzige Werke im Sinn des Festivalthemas «Humor» hören. Aber E-Musik ist und bleibt nun mal seriös: Das unterscheidet sie von der populären Musik der weltumfassenden Spassgesellschaft. Und so bedachte denn das Lucerne Festival – mit Ausnahmen – den Humor zu Recht mit Ernst. Schliesslich gab auch die eigene Lage bis Mitte August kaum zum Lachen Anlass.
Der Festival-Dampfer war 2014 nach kritiklosen Jahren in unruhige Fahrwasser geraten: die weltweit bewunderten Leitwölfe tot (Claudio Abbado) oder krank (Pierre Boulez), der Intendant Michael Haefliger ab 2020 nach 21 Jahren auf dem Absprung.
Eine grossartige Wahl
Doch dann, einen Tag vor Festivalbeginn, wurde der Italiener Riccardo Chailly als neuer Chefdirigent des Lucerne Festival Orchestra (LFO) verkündet. Eine grossartige Wahl, wäre da nicht noch etwas auszustehen gewesen: Top-Favorit Andris Nelsons hatte noch zwei Konzerte mit dem LFO zu dirigieren. Die Psychologen unter den Kritikern erkannten in ihm eine «lame duck», eine lahme Ente und schrieben Verrisse. Die Diskussion zog sich über das Festival hinweg, kam doch dieser Nelsons ein zweites Mal mit seinem Orchester aus Boston ins KKL – und triumphierte.
So fragt sich nun Luzern: Ist das LFO, einst als «bestes Orchester der Welt» betitelt, noch gut? Konnte es nur mit seinem Vater und Seelenverwandten Abbado (1933–2014) erfolgreich sein? Kann es wieder Festival-Botschafter werden?
«Ja», «nein», «ja» lauten die Antworten auf die drei Fragen, wenn man 2015 künstlerisch als Übergangsjahr betrachtet. Ungeachtet dessen blieb das Festival gesellschaftlich ein Top-Event. Alles trifft sich einen Monat lang im KKL. Kein Wunder, druckt neben der «NZZ» auch die «Schweizer Illustrierte» mittlerweile eine Festival-Hochglanz-Beilage. Dafür lässt der ernste Intendant Michael Haefliger die Journalisten und Fotografen in sein Wohnzimmer.
Rihm und Pintscher
Dieser Glanz ist nötig, damit das Festival-Feuer lodert: Nur so gehen die Hunderte von 320 Franken teuren Karten allabendlich weg. Der Glaube an die Kunst der Weltbesten ist für das Publikum wichtig. Abbado prägte das Festival zwischen 2003 und 2013. Mit Chailly steht ein Nachfolger mit grossen Ideen und Mut im KKL. Wenn es ihm gelingt, den Kern des Festspielorchesters zu packen, wird Grosses entstehen.
Im Schwung von Chaillys Bestellung wurde gleich die zweite Baustelle behoben und die Nachfolge von Legende Pierre Boulez bestimmt: Das deutsche Komponisten-Aushängeschild Wolfgang Rihm wird Leiter der Academy, wo junge Komponisten zusammen mit dem Academy-Orchester Werke des 20. und 21. Jahrhunderts erarbeiten. Als Dirigent und Komponist steht ihm der 44-jährige Matthias Pintscher zur Seite.
Haefliger führte das Festival elegant aus dunklen Moll-Klängen heraus. 2016 steht das Lucerne Festival Orchestra allerdings unter besonderer Beobachtung.
Das Thema heisst übrigens «Prima Donna» – die Frau: Gleich elf Dirigentinnen werden im KKL auftreten, eine Frau wird die Wiener Philharmoniker dirigieren, es sind teils unbekannten Werke von 16 Komponistinnen zu hören. Da
das «Schweizer Tonkünstlerfest» nach 2010 erneut ins Festival integriert ist, wird man an einem Erlebnistag zahlreiche Uraufführungen geniessen können.
Der Tastentag
Diese kartengünstigen Aktionstage sollen ein neues Publikum ins KKL locken. Nun, im anstehenden Pianofestival – etwas Sorgenkind, da die Spitzenpianisten ihre Solo-Abende ja auch in Basel und Zürich geben – gibt es einen Tastentag: Im KKL treten gleich vier Organisten sowie ein Klavierduo auf. Pollini, Schiff & Co. spielen naturgemäss wie gewohnt ihre Rezitals.
Lucerne Festival am Piano
Sa, 21.11.–So, 29.11.
Der Tastentag
So, 22.11., ab 14.00 KKL Luzern
Unter anderen mit Adrienne Soós & Ivo Haag, Elisabeth Zawadke, Pierre Pincemaille
Mehr Informationen unter: www.lucernefestival.ch