Wissen Sie, was «Slipeinlage» auf Finnisch heisst? Wissen Sie nicht? Wenn Sie wollen, kann ich es Ihnen sagen. Wollen Sie nicht? Aha. Wozu braucht man so etwas schon! Ausser man ist Finnin. Aber dann hat einem die Mutter oder die Leiterin des Beckenbodenkurses dieses Wissen schon vor Jahren vermittelt. Unter den gegebenen Umständen jedoch kann ich verstehen, dass es Sie nicht interessiert, was Slipeinlage auf Finnisch heisst, da Sie das Erlernen von Finnisch im Allgemeinen und innerhalb dessen das Wort Slipeinlage im Besonderen für unnütz halten. Damit können wir uns nun einem anderen Thema zuwenden, zum Beispiel der Basler Fasnacht.
Die Basler Fasnacht … nein, ich muss unterbrechen, ich kann mich nicht richtig konzentrieren. Dies ist dem Umstand zuzuschreiben, dass es mich immer noch ausgesprochen reizt, Ihnen zu sagen, was Slipeinlage auf Finnisch heisst. Aber ich werde es nicht tun, ich möchte mich nicht der Gefahr aussetzen, für jemand gehalten zu werden, in dessen Fantasie sich kräftige Finninnen mit schlanken Slipeinlagen tummeln.
Das Wort Finninnen ist übrigens eines der seltenen deutschen Wörter mit fünf n. Im Finnischen gibt es im Gegensatz zum Deutschen kein einziges Wort mit fünf n. Es gibt dafür viele Wörter mit mehreren u. Ein Wort mit vier u ist zum Beispiel Pikkuhousunsuoja. Pikkuhousunsuoja hat nichts mit Soja zu tun, auch nichts mit Pickel oder mit Haus. Das kompliziert klingende Wort heisst, das wird Sie jetzt wahrscheinlich überraschen, schlicht und einfach Slipeinlage.
Woher ich das weiss? Steht auf jeder Always- Ultra-Packung. Wieso ich Always-Ultra-Packungen lese? Um Finnisch zu lernen. Hier beisst sich die Katze natürlich in die Slipeinlage, wie der Finne sagt, weshalb wir das Thema endgültig verlassen, denn eigentlich wollte ich ja von der Basler Fasnacht erzählen. Finnland ist überhaupt ein sehr schönes Land. Das versichern mir jedenfalls glaubhaft viele Finnlandreisende. Ich selbst war zwar einmal in Finnland, aber ich weiss nicht, ob das Land schön ist, denn meine Finnlandreise erschöpfte sich darin, dass ich zwei Wochen lang mit Angina und 40 Grad Fieber in Rovanjemi in einer Jugendherberge lag.
Als mein Fieber nicht mehr so hoch war, stand ich auf, bestieg den Zug und fuhr nach Helsinki. Auf dieser Zugfahrt, die sehr lange dauerte, versuchte eine alte Finnin, mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich muss so krank ausgesehen haben, dass sie wohl dachte, ich sei Finne. Da ich, wie gesagt, jedoch überhaupt kein Finnisch sprach, kann unsere Unterhaltung bestenfalls als stockend bezeichnet werden.
Die alte Finnin stieg dann bei einer kleinen Station aus, und ich schaute ihr zu, wie sie mit einem Koffer und zwei zusammengebundenen Plastiktaschen am Stationsgebäude vorbei in die weite öde Ebene hinausging, wo überhaupt nichts war, nur eine ungeteerte Strasse und in der Ferne ein Wald. Ich dachte: Die seh ich nie wieder. Das hat sich dann übrigens auch bestätigt. Der Nächste, der sich zu mir ins Abteil setzte, war nicht Finne, sondern Basler. Er tötete mir bis Helsinki ganz beträchtlich den Nerv. Immer wieder lachte er mich hämisch aus, weil ich, statt Finnland zu bereisen, Angina gekriegt hatte und mit 40 Grad Fieber in einer Jugendherberge in Rovanjemi gelegen war. Das amüsierte ihn königlich.
Basel ist überhaupt eine sehr spezielle Stadt. Das Wichtigste an Basel ist die Fasnacht. Wenn ich ausserhalb der Fasnachtszeit Basel besuche, dann habe ich immer das Gefühl, die Stadt habe im Moment gerade nichts zu tun, sie liege darum einfach etwas herum und warte. Es ist, wie wenn man vormittags in ein Theater kommt. Die Bühne ist dunkel, es riecht nach kaltem Rauch und Schellack, in einer entfernten Garderobe probt jemand einen Text. Genau so ist es in Basel: Irgendwo hört man immer jemand Piccolo üben und dann weiss man, bald, sehr bald, vielleicht schon in elf Monaten ist Fasnacht.
In Basel hängen ganze Industriezweige an der Fasnacht. Gut gehütetes Wissen um verschiedenste Fasnachts-Fertigungstechniken wird in Basel seit Generationen von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Interessant ist auch, dass die meisten Slipeinlagen in Basel verkauft werden. Basel liegt in der europäischen Slipeinlagen-Konsumstatistik an erster Stelle. Die Verantwortlichen am Hauptsitz der Firma Always zerbrechen sich seit langem den Kopf darüber und finden keine Antwort, denn sie verstehen zwar viel von der Saugfähigkeit spezieller Celluloseverbindungen, dafür nichts von der Fasnacht.
Fasnachtslarven werden innen mit einem wasserundurchlässigen Lack lackiert. Heute wird häufig Acryllack verwendet, früher nahm man zu diesem Zweck Schellack. Schellack ist ein hochglänzender, im Gegensatz zum Acryllack wohlriechender Hartlack, der von Schildläusen produziert wird. Unschuldige Schildläuse werden an indische Euphorbienbäume gesetzt, wo sie aus den Blattadern den Pflanzensaft saugen, diesen verdauen und anschliessend als rötliches Sekret wieder ausscheiden. Dieses Sekret, in Alkohol gelöst, ist Schellack. Man kann also mit Recht sagen, Schellack ist das Pipi der Schildläuse. Mit ebensolchem Recht kann man sagen, wenn Schildläuse Slipeinlagen trügen, gäbe es gar keinen Schellack.
Der Name Schellack besteht aus dem englischen Wort Shell, was Schale bedeutet, und dem deutschen Wort Lack. Schalenlack also, denn die Schildläuse produzieren mit ihrem Sekret um die Blätter des Wirtsbaumes eine regelrechte Lackschale. Das deutsche Wort Lack jedoch kommt direkt vom indischen «lacksha». Lacksha heisst «hunderttausend» und bezeichnet die Anzahl Läuse auf der Euphorbie. So wohnt dem kleinen Wörtchen Schellack gleichsam die ganze indogermanische Sprachfamilie inne, der alle europäischen Sprachen angehören ausser Ungarisch und Finnisch, die daher statt wohlklingender Namen wie Schellack übel unkende Silbengebilde wie Pikkuhousunsuoja aufweisen.
Ein wasserundurchlässiger Lack im Larveninnern ist jedenfalls sehr wichtig, sonst würde der Gesichtsschweiss und das beim Ausatmen entstehende Kondenswasser die aus Papier und Kleister bestehende Fasnachtslarve in kürzester Zeit aufweichen. So herrscht während der Fasnacht im Innern einer Larve ein Klima, das sich mit einem Hochsommertag auf den Bahamas vergleichen lässt oder, wenn man sozialkritisch eingestellt ist, durchaus auch mit dem Arbeitsklima einer Schildlaus an der sonnenzugewandten Seite eines indischen Euphorbienbaums.
Baslerinnen und Basler bekleben nun alle Druckstellen im Innern der Larve mit Slipeinlagen und pfeifen oder trommeln fortan weich gepolstert und relativ trocken durch die Strassen, denn Always-Ultra leitet die Gesichtsfeuchtigkeit (Zitat) ins Innere der Binde und hält sie dort fest (Zitat-Ende). In einer Beiz angekommen, entfernen die Basler ihre Slipeinlagen, werfen sie hoffentlich nicht in die Toilette und bekleben die Larve neu. Dass dieser Verwendungszweck im Sinne der Firma Always ist, darf bezweifelt werden. Aber er führt zu einer beträchtlichen Umsatzsteigerung an Slipeinlagen und damit zu höherem Shareholder-Value der Always-Aktionäre. Denn die Always-Ultra-Einlage ist nicht nur rutschfest und äusserst saugfähig, sie hat noch einen weiteren Vorteil, der gerade beim heute immer häufiger verwendeten Acryllack nicht zu unterschätzen ist. Sie «bindet Geruch». Steht auf der Packung. Auf Finnisch: pitää hajun.
Lorenz Keiser
Lorenz Keiser ist 1959 als Sohn des Kabarettistenpaars César Keiser und Margrit Läubli in Zürich geboren. Er hat Geschichte und Italienisch studiert und ab 1984 Kolumnen und Satiren in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht. Für sein erstes Solostück «Zug verpasst» erhielt er 1989 den Salzburger Stier. Lorenz Keiser stand 32 Jahre lang mit zehn Soloprogrammen auf der Bühne. Im Juni 2021 hat er die letzte Vorstellung von «Wobisch?!» gespielt und seinen Rücktritt bekannt gegeben. Künftig wird er auf Bali leben.