«Sie sah aus wie ein Filmstar oder eine Wahnsinnige – vielleicht auch beides.» Zoe Beech, die junge Ich-Erzählerin in Calla Henkels Debütroman «Ruhm für eine Nacht», ist fasziniert, beinahe besessen von ihrer neuen besten Freundin. Denn Hailey Mader macht die Welt irgendwie aufregender.
Doch die vermeintlich «vibrierende Harmonie » zwischen den beiden 20-Jährigen entpuppt sich als toxische Freundschaft. Zoe und Hailey trinken nicht einfach nur ab und zu ein Glas Wein zusammen, sie geben sich regelrecht die Kante.
Die Kunststudentinnen aus den USA verbringen ein Auslandsjahr in der Party-Metropole Berlin der 2000er-Jahre. Um in der dortigen Kunstwelt Anerkennung zu finden und ihrer Vermieterin, einer eigenartigen Krimiautorin, neuen Erzählstoff zu liefern, verwandeln die jungen Frauen ihre Wohnung jeden Freitagabend in einen Club – bis die Feierei ein fatales Ende findet.
US-Autorin Calla Henkel, die in Berlin lebt und dort bis vor kurzem eine Bar betrieb, verpackt die komplizierte Freund- schaft zwischen der introvertierten Zoe und der selbst- bewussten Hailey in einen fesselnden, amüsanten Thriller, der in Rückblenden aus Zoes Sicht erzählt wird. Mit scharfem Blick beschreibt Henkel die Ambiguität zwischen den beiden Frauen, welche die rauschhafte Energie Berlins Ende der Nullerjahre in sich aufsaugen und ihre Einsamkeit mit Drogen betäuben.
Zynisch entlarvt die Autorin den Hedonismus der damaligen Zeit und zeichnet ein pointiertes Bild der Facebook-Generation, für die jegliche Aussenwirkung wichtiger zu sein scheint als das eigene Empfinden.
Das Topmodel und die Korrekturleserin
Dieser Diskrepanz zwischen Oberfläche und Selbst geht auch Mary Gaitskill in ihrem 2005 erschienenen Roman «Veronica» nach, der nun in einer deutschen Übersetzung von Erfolgsautor Daniel Schreiber erscheint. Auch hier wird eine ambivalente Freundschaft aus der Perspektive von einer der beiden ungleichen Hauptfiguren geschildert.
Ich-Erzählerin Alison Owen, ein ehemaliges Topmodel, empfindet die 16 Jahre ältere Veronica Ross, eine eigensinnige Korrekturleserin mittleren Alters, oft als peinlich. Und dennoch bleibt sie über 20 Jahre lang mit ihr befreundet.
«Als ich Veronica kannte, war ich gesund und schön und hielt mich für so einen grossartigen Menschen, weil ich mich mit ihr anfreundete, die hässlich und krank war», bekennt Alison. Sie ist inzwischen fast 50 und putzt nach dem abrupten Ende ihrer Karriere Büros.
Nun blickt sie auf ihre schillernde Zeit in der Pariser Modewelt zurück und erinnert sich an glamouröse Partys im New York der 80er, die ähnlich exzessiv wie in Henkels Berlin erscheinen. Gaitskill, die bereits in ihrem ersten Roman «Two Girls, Fat and Thin» (1991) zwei unterschiedliche Freundinnen in den Mittelpunkt rückte, macht das Ungleichgewicht dieser ungewöhnlichen Freundschaft spürbar.
«Veronica» ist ein eigenwillig strukturierter, etwas sperriger Roman, mehr eine Collage aus überlappenden Szenen. In bildgewaltiger Sprache legt die heute 67-jährige Autorin die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen offen und zeichnet eindrücklich das Bild zweier gegensätzlicher Frauen. Gleichzeitig beschwört sie vor dem traurigen Hintergrund der Aids-Epidemie in den USA ein längst vergangenes New York herauf.
Schonungslose, radikale Serie
Beide Romane zeigen nicht nur die schönen, verbindenden, sondern auch die schmerzhaften Momente in einer Freundschaft. Genau wie die düstere Serie «Euphoria» auf Sky, in der zwei ungleiche Teenager im Fokus stehen. Die Geschichte wird im Voiceover aus Sicht von Rue Bennett erzählt, gespielt von Sängerin Zendaya. Zurück aus dem Entzugscamp nach einer Überdosis, macht Rue dort weiter, wo sie aufgehört hat: mit Pillen und Koks. Ihre neue Freundin Jules Vaughn (Hun- ter Schafer) hält zwar nichts von harten Drogen, sucht aber Ablenkung und Bestätigung in anonymen Sexdates mit verheirateten Männern.
Die komplizierte Beziehung zwischen den beiden 17-jährigen Frauen droht zu eskalieren, als Rue sich in Jules verliebt. Viele Tabuthemen werden in «Euphoria» offen angesprochen, von sexuellem Missbrauch über Drogensucht bis hin zu psychischen Krankheiten. Radikal und schonungslos zeichnet die Coming-of-Age- Serie in bislang zwei Staffeln das Porträt der Generation Z. Umringt von Online-Pornografie, Dating-Apps und dem Dauerrauschen von Social Media, wächst diese in einer hedonistischen Überflussgesellschaft auf und betäubt ihre Ängste mit Drogen und Sex.
Rabenschwarz und voller düsterer Geheimnisse
Eine etwas bravere, aber nicht weniger komplexe Freundschaft führen Jen und Judy, die Heldinnen der Netflix-Serie «Dead To Me», die im November mit der dritten Staffel endet. Die zynische Maklerin Jen Harding (Christina Applegate) und die unsichere Judy Hale (Linda Cardellini) lernen sich in einer Selbsthilfegruppe für Trauernde kennen. Die beiden unterschiedlichen Frauen verbindet mehr, als sie zunächst denken. Die düsteren Geheimnisse drohen jedoch die Freundschaft schnell wieder zu zerstören.
Humorvoll lotet die rabenschwarze Serie die Grenzen einer Frauenfreundschaft aus und streift dabei Themen wie Verlustangst, Einsamkeit und Loyalität. So werden 20 Jahre nach der legendären Fernsehserie «Sex And The City», die bis heute das Bild der prototypischen Frauenfreundschaft prägt, facettenreichere Beziehungen zwischen starken, unabhängigen Frauen aufgezeigt. Dabei fällt vor allem ein entscheidender Unterschied auf: Männer spielen hier nur noch eine Nebenrolle.
Serien:
Euphoria (2 Staffeln, Sky)
Dead To Me (3 Staffeln, Netflix)
Bücher:
Calla Henkel - Ruhm für eine Nacht
Aus dem Englischen von Verena Kilchling
400 Seiten (Kein & Aber 2022)
Mary Gaitskill - Veronica
Aus dem Englischen von Daniel Schreiber
301 Seiten (Blumenbar 2022)