Übersetzer werden in letzter Zeit immer öfter gefragt, ob es sie denn überhaupt noch brauche. Im Internet kann man doch alles in Sekundenschnelle durch die Übersetzungsmaschine jagen, während das menschliche Übersetzen eine mühselige und langwierige Tätigkeit bleibt. Tatsächlich gibt es im Sachbuch- und im Unterhaltungsbereich Verlage, die eine maschinelle Vorübersetzung generieren lassen und vom Übersetzer nur noch ein Post-Editing, also eine Nachbearbeitung, wollen. Sind die Tage der menschlichen Literaturübersetzer also bald gezählt?
Die Branche ist alarmiert. «Nein zur seelenlosen Übersetzung» fordert eine Online-Petition. Und die französische Künstlergewerkschaft STAA warnt in einem Manifest vor der «Automatisierung der Künste». Der Einsatz der maschinellen Übersetzung werte die Übersetzer ab und nutze sie aus. Wissen würde verloren gehen und die literarische Qualität sinken.
Übersetzungsdienst DeepL im Test
Doch inwiefern sind die Maschinen zur Übersetzung von Literatur brauchbar? Und wie weit ist das Arbeitsmodell mit einer maschinellen Vorübersetzung und einer menschlichen Nachbearbeitung in der Schweiz schon etabliert? Diesen Fragen ging der Verein Autorinnen und Autoren der Schweiz in einer Studie nach.
Die Umfrage ergab, dass jeder zehnte Schweizer Übersetzer schon Angebote zum Post-Editing erhalten hat. Dabei handelte es sich um Sachtexte, aber auch um Romane und Kinderbücher. Eine Mehrheit der befragten Übersetzer gab zu Protokoll, keine solchen Aufträge annehmen zu wollen und auch nicht an einer entsprechenden Weiterbildung interessiert zu sein.
In einer kleinen qualitativen Studie wurde der Einsatz des Übersetzungsdienstes DeepL für eine Übersetzung aus dem Deutschen ins Französische getestet. Auf der niedrigsten Einsatzstufe wurde normal übersetzt und DeepL punktuell als Hilfsmittel beigezogen. Auf der höchsten Stufe wurde eine maschinelle Übersetzung erstellt und von einer Übersetzerin ohne Rückgriff auf den Ausgangstext nachbearbeitet.
Mühsam, inspirationslos und frustrierend
Das Fazit: DeepL gezielt als Wörterbuch zu verwenden, sei teilweise nützlich. Alles, was darüber hinausgeht, bringe mehr Nachteile. Die von Übersetzungsmaschinen gelieferten Vorübersetzungen seien voller Fehler und Unklarheiten. Die Ausdrucksweise in der Zielsprache klänge nicht geläufig und nicht stilsicher. Der Arbeitsschritt der Nachbearbeitung werde notgedrungen zu einer eigentlichen Nachübersetzung, deren Qualität nur durch einen zeitintensiven Rückgriff auf den Ausgangstext sicherzustellen sei. Geradezu fahrlässig wäre es, eine DeepL-Übersetzung ohne Vergleich mit dem Original zu lektorieren.
Neben der Frage der Qualität und der Effizienz brachten die Testübersetzerinnen überdies einhellig zum Ausdruck, dass ihnen die Zusammenarbeit mit der Maschine keine Freude bereite. Mühselig, inspirationslos und frustrierend sei sie – und nicht zu vergleichen mit dem Dialog mit einem echten Übersetzerkollegen.
Fünf Fragen an Camille Logoz
Übersetzerin und Vorstandsmitglied Autorinnen und Autoren der Schweiz
kulturtipp: DeepL ist gemäss einer Studie des Vereins Autorinnen und Autoren der Schweiz für die Literaturübersetzung kaum brauchbar. Sind Sie erstaunt?
Camille Logoz: Nicht wirklich. Aber die grösste Bedrohung ist nicht die Technologie selbst, sondern dass man mit ihr eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (Abgabefristen, Lohn etc.) rechtfertigt.
Sind Sie auch erleichtert? Wie gross ist die Sorge der Übersetzerinnen um ihre Zukunft?
Man darf kaum erleichtert sein. KI-Übersetzungen sind für die Branche und für die Kultur an sich eine Gefahr, weil sie Texte vereinheitlichen, Vorurteile verstärken und die Denkweise verarmen lassen. Deswegen ist das Thema von gesamtgesellschaftlicher Relevanz.
Die Befragten wollen mehrheitlich keine Nachbearbeitung von KI-Vorübersetzungen machen und es auch nicht lernen. Warum diese Ablehnung?
Man gewinnt mit dem Post-Editing kaum Zeit, das zeigen auch andere Studien. Kein Wunder, dass Übersetzer sich weigern, für weniger Lohn eine weniger interessante Arbeit zu machen, die gleich viel Zeit beansprucht.
Könnte sich das Desinteresse rächen, wenn die KI an Qualität gewinnt und die Verlage deren Sparpotenzial ausschöpfen wollen?
Eine gute Übersetzung wird immer menschlich sein, also auf Erfahrung basieren, Gefühlen entsprechen, einer Überlegung folgen – kurz: lebendig und originell sein. Ich glaube fest daran, dass seriöse Verlage und Kulturinstitutionen dies einsehen.
In Frankreich wurden Manifeste gegen die KI-Übersetzung verfasst. Rufen auch Sie zum Widerstand gegen die Maschinen auf?
Diese Manifeste betonen, dass die KI-Technologie und vor allem der heute unregulierte Umgang damit unseren Beruf und unsere Kreativität gefährden. Sie widerspiegeln die Haltung der Autorinnen und Autoren der Schweiz, die zurzeit ihre Forderungen mit politischen Entscheidungsträgern und Partnerverbänden besprechen.
Tipps zum Thema Übersetzen
Die Journale der Literaturübersetzer
Das Toledo-Programm setzt sich mit Stipendien, Veranstaltungen und Plattformen für die Literaturübersetzung ein, und die Übersetzer erhalten die Gelegenheit, ihr aktuelles Projekt vorzustellen. Sie geben Einblick in die sprachlichen Herausforderungen und bringen das Werk dem Lesepublikum durch Einbettung in die kulturellen und historischen Kontexte näher.
So erzählt etwa Ulrich Blumenbach vom Weg durchs Labyrinth von James Joyces modernistischem Roman «Finnegans Wake» und legt seine Strategien dar, deutsche Entsprechungen für die Wortneuschöpfungen des Originals zu schaffen.
www.toledo-programm.de
Übersetzer im Gespräch
Im Podcast «Überübersetzen» führt die Berliner Übersetzerin und Dolmetscherin Yvonne Griesel jeweils ein halbstündiges Gespräch mit einer Berufskollegin. Dabei deckt sie Spezialprobleme bestimmter Sprachen, Genres oder Medien ab. So spricht sie mit der Übersetzungswissenschafterin Larisa Schippel über die Notwendigkeit von Übersetzungskritik oder befragt die deutsch-US-amerikanische Übersetzerin Melody Makeda Ledwon über schwarze Perspektiven zur Übersetzung und zum Literaturbetrieb.
Und zur Abwechslung besucht sie die Kochbuchübersetzerin Julia Gschwilm und lässt sich kulinarisch verwöhnen, während sie sich über die Übersetzungsprobleme rund um Masseinheiten wie Cups und Flüssigunzen erkundigt.