Er habe «schon so manche feine Kammermusik gespielt» und klinge «in diesem kleinen Buch noch reiner, noch süsser, noch schwebender als in den früheren. Wenn solche Dichter zu den ‹führenden Geistern› gehören würden, so gäbe es keinen Krieg.» Mit diesen Worten wirbt 1917 Hermann Hesse in der NZZ für ein Buch, das bei der Kritik einige Beachtung finden wird, aber kaum Käufer. Der von ihm hochgeschätzte Dichter heisst Robert Walser. Das so gelobte Buch «Poetenleben» vereint 25 Texte, die vorher bereits in Zeitungen erschienen und jetzt von Walser umgearbeitet worden sind zum Kaleidoskop eines Poetenlebens. Nun ist das Buch, versehen mit einem informativen Nachwort, neu bei Suhrkamp herausgekommen.
«Das Erzählen an sich, ohne Gegenstand»
Walser habe «gleichsam das Erzählen an sich, ohne Gegenstand» erfunden, hat sein Dichter-Kollege Oskar Loerke über «Poetenleben» gesagt. «Mit Dingen, die niemand sonst des Berichtens für würdig hielte, fesselt, bezaubert, ergreift er.» Eine Wanderung eröffnet den schmalen Band, und dem Ich-Erzähler kommt es vor, «als bewege sich die ganze runde Welt leicht mit mir fort». Und er kommt zur Schlussfolgerung: «O was für eine gesunde, gute Freude ist das Wandern. Nur harmlose Freuden sind wahre Freuden.»
Vielleicht fehlen in der heutigen Gesellschaft diese harmlosen Freuden. Freuden, mit denen die Menschen der Erde nichts antun. In Robert Walser jedenfalls klingt ein reiner Ton an, den freilich schon die Zeitgenossen kaum beachtet haben. So zerbricht dieser Mensch und kommt 1929 wegen seines befremdlichen Verhaltens in die Berner Psychiatrie und 1933 in seinen Heimatkanton Appenzell Ausserrhoden, wo er 23 Jahre lang mit der Diagnose Schizophrenie das eintönige Leben eines Anstaltspatienten führen wird – ohne je noch eine Zeile zu schreiben.
Muntere Streifzüge zweier älterer Herren
Doch es gab einen Menschen, der sich brennend für ihn interessierte. Schon lange hatte der Mäzen Carl Seelig Walsers Werk wahrgenommen, von 1936 an besuchte er ihn regelmässig zu langen sonntäglichen Wanderungen, die oft im Wirtshaus endeten und bei denen Walser sich sehr offen zeigte. Seelig aber schaffte es, mit seinen 1957 erschienen «Wanderungen mit Robert Walser» den Schriftsteller der Vergessenheit zu entreissen und auch mit seinen Fotos das Bild des Dichters zu prägen.
Auch diese «Wanderungen» sind jetzt neu erschienen, begleitet von einem Nachwort, welches die munteren Streifzüge zweier älterer Herren auch problematisiert. Denn wie die Episoden von «Poetenleben» nicht selten einen doppelten Boden haben, so kann man auch an Seeligs Walser-Bild zweifeln. Er hat seinen Dichter zugleich gefördert und vereinnahmt. Und ihn in den «Wanderungen» wohl auch gesund geschrieben. «Er ist kränker, als Sie meinen», hatte schon 1940 der Psychiater Otto Hinrichsen erklärt.
Bücher
Robert Walser
Poetenleben
192 Seiten
(Suhrkamp 2021)
Carl Seelig
Wanderungen
mit Robert Walser
250 Seiten
(Suhrkamp 2021)