«In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit.» Wenn J. R. R. Tolkien gewusst hätte, was nach diesem Satz noch alles folgt! So beginnt «Der Hobbit», die 1937 erschienene erste Geschichte aus der von Tolkien erdachten Fantasywelt Mittelerde. Darin geht es um den Hobbit Bilbo Beutlin, der loszieht, um das Königreich der Zwerge von einem Drachen zu befreien, und dabei einen Zauberring findet.
Es folgt die «Herr der Ringe»-Trilogie, in der sich Bilbos Neffe Frodo der Zerstörung des Zauberrings annimmt. Weltweit sind die Bücher etwa 150 Millionen Mal verkauft worden. «Der Herr der Ringe» ist heute ein Grundlagenwerk des Fantasy-Genres. Ab 2001 übertrug Regisseur Peter Jackson beide Geschichten mit grossem Erfolg auf die Kinoleinwand.
Dann blieb es eine Weile ruhig um die Hobbits, Elben, Menschen, Zwerge und Orks aus Mittelerde. Vor zwei Jahren wagte sich Amazon Prime an den Stoff. Die Serie «Rings of Power» orientiert sich grob an der Zeit, in der die Ringe der Macht geschmiedet wurden. Am 29. August startet die zweite Staffel, die ebenfalls in Neuseeland gedreht wurde.
Ein Kulturkampf um schwarze Elben
Die erste Staffel musste viel Kritik einstecken. Einige störten sich an der «Wokeness» der Serie, die Zwerginnen und Elben mit dunkler Hautfarbezeigt.Tobias M. Eckrich, Vorsitzender der Deutschen Tolkien Gesellschaft, sagt: «Ich diskutiere über schlechte Dialoge, aber nicht über die Hautfarbe eines Zwerges.» Die extreme politische Rechte der USA fahre eine identitätspolitische Kampagne gegen die Serie.
Ein Kritikpunkt, dem Eckrich allerdings beipflichtet, betrifft die Konsistenz der Charaktere und die Schlüssigkeit der Handlung. Dieses Manko begründe sich auch in der komplizierten Rechtelage. Amazon durfte «Das Silmarillion» nicht verwenden, ein Buch, in dem neben Mittelerde-Mythen auch die Vorgeschichte der «Ringe der Macht» beschrieben ist. «Die Serienschreiber mussten sich also mit den Anhängen und Anspielungen aus dem ‹Hobbit› und aus ‹Herr der Ringe› begnügen und in der Handlung nahe, aber nicht zu nahe am ‹Silmarillion› sein.
Da haben sie sich keinen Gefallen getan.» Man munkle, dass Amazon für die zweite Staffel Teilrechte am «Silmarillion» erworben habe, was dieses Problem beheben würde. Auch sonst setzt Eckrich viel Hoffnung auf die zweite Staffel: «Sie wird wohl actionreicher, düsterer und hoffentlich besser geschrieben als die erste.»
Der Anfang eines neuen Franchiseuniversums?
«Die Ringe der Macht» ist nicht die einzige Tolkien-Adaption, die in den Startlöchern steht. Im Dezember kommt «Die Schlacht der Rohirrim» in die Kinos, ein Anime, bei dem Peter Jackson als Produzent fungiert. Es geht um Helm Hammerhand, einen Helden aus dem Menschenreich Rohan. Die Rechtelage ist hier kein Problem, weil die Geschichte in den Anhängen von «Der Herr der Ringe» komplett erzählt wird.
Auch von der Kreatur Gollum, die den Zauberring vor Bilbo besass, werden wir noch mehr sehen. Andy Serkis, der Gollum in «Der Herr der Ringe» verkörperte, inszeniert «Die Jagd nach Gollum». Der für 2026 geplante Film dürfte der Auftakt einer ganzen Reihe sein. Warner Bro’s und der schwedische Spielekonzern Embracer haben die Rechte für insgesamt sieben neue Filme erworben.
Eckrich sagt: «Ich denke, aus Tolkiens Werk wird ein zweites Franchiseuniversum wie bei Marvel entstehen.» Auch wenn er die «Geldmacherei» kritisch sehe, freue es ihn als Fan, wenn sich mehr Menschen mit Tolkiens Werk beschäftigen. Zudem betrachte er jede Verfilmung als Interpretation, die man teilen könne oder nicht. «Das Schöne ist, dass uns niemand die Originalbücher nehmen kann», sagt Eckrich lächelnd und schiebt sich die Kopfhörer auf seinen neongelben Haaren zurecht.
Bei Tolkien gibt es kein einfaches Happy End
Während des Videogesprächs mit dem kulturtipp lässt er Referenzen fallen, die von einem grossen Mittelerde-Wissen zeugen – und zeigt trockenen Humor. Auf die Frage, was Tolkien zu den Adaptionen sagen würde, meint er: «Es würde mich wundern, wenn er sich im Grab umdreht, weil das physikalisch nicht möglich ist.»
Tolkien ist vor über 50 Jahren verstorben – inspiriert die Kinowelt aber noch immer. Was macht sein Universum so attraktiv? «Tolkien hat eine Sprache erfunden und dieser Sprache ein Volk gegeben. Mit Kultur, Geschichte und allem drumherum», meint Eckrich dazu. Zudem habe der Autor zeitlose Themen verhandelt. «Es geht nicht nur um Gut gegen Böse. Es geht um Loyalität, schwierige Aufgaben und erlittene Verluste. Bei Tolkien ist am Ende nicht alles gut. Die Abenteuer verändern die Figuren.»
Stets lockt die Weltflucht nach Mittelerde
Mit dem durch Tolkien ausgelösten Boom der Fantasyliteratur kam auch die Kritik: Eskapismus, die Flucht vor der realen in eine fiktive Welt. Eckrich sagt: «Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, was daran schlimm sein soll.» Er vergleicht das Lesen mit Tagträumen. «Wenn ich mir vorstelle, wie das Meer im nächsten Urlaub meinen grossen Zeh umspielt, ist das ja auch eine Realitätsflucht.»
Die Deutsche Tolkien Gesellschaft produziert Podcasts, Analysevideos und Vorträge zu Tolkiens Welt und unterhält Stammtische in 30 Städten, auch in Zürich. Einmal im Jahr veranstalten sie das weltweit grösste Tolkien-Event in Nordrhein-Westfalen. «Da reden wir über Tolkiens Geschichten, hören Konzerte, lernen Handwerkskunst und frönen mit unserer selbst gewählten Familie dem Eskapismus.»
Ringe der Macht
Staffel 2 ab Do, 29.8. Amazon Prime
Die Schlacht der Rohirrim
Ab Do, 12.12., im Kino
Die Jagd nach Gollum
Voraussichtlich 2026 im Kino
Infos zu Stammtischen und Podcasts
www.tolkiengesellschaft.de