Politik sei «ein Spiel mit Kulissen », sagt der polnische Ministerpräsident Mateusz. «Es ist wie im Theater: Vorne hast du symbolische Handlungen, dahinter die Technik.» Dort hinten, in der Technik, sieht er sich selbst. Dort wird er blockieren, was Albanien anstrebt: Beitrittsverhandlungen mit der EU. Dort in der Technik wird er die Ideale dieser Europäischen Union torpedieren und die polnische Demokratie nach Kräften aushöhlen. Er habe, sagt er zu seinem Jugendfreund und politischen Kontrahenten Adam, «die Interessen eines freien Polen zu vertreten und nicht die Fantasien wurzelloser Kosmopoliten».
Annäherung an Europa vom östlichen Rand her
Die Auseinandersetzung zwischen Adam und Mateusz markiert eines der Grundthemen von Robert Menasses packendem und in seinem Humor sehr unterhaltsamem Buch. «Die Erweiterung » ist nach dem Roman «Die Hauptstadt» von 2017 Menasses zweite Annäherung an Europa, diesmal vom südöstlichen Rand her.
Dort findet sich im Ministerpräsidenten Albaniens ein begnadeter Kulissenschieber. Dessen Idee, man könnte doch zur symbolischen Aufpolierung des eigenen Anspruchs von Österreich die Rückgabe von Skanderbegs Helm verlangen, entwickelt rasch politische Sprengkraft. Zumal der Helm dieses albanischen Nationalhelden aus dem 15. Jahrhundert alsbald gestohlen wird und später in doppelter Form wieder auftaucht: als Original und in der Kopfgrösse des umtriebigen Ministerpräsidenten, der stark dem aktuellen Amtsinhaber Edi Rama gleicht.
Da sind wir dann schon auf der «SS Skanderbeg», jenem brandneuen Kreuzfahrtschiff, das ZK, wie der albanische Ministerpräsident von seiner Entourage genannt wird, durch die Einladung der europäischen Politprominenz zur Beförderung seiner politischen Ziele nutzen will.
Das geht allerdings krachend schief … Auf dem Weg zur Kreuzfahrt lernt der Leser Menschen kennen, in deren Lebensläufen, Erlebnissen und Persönlichkeiten sich die Geschichte ihrer Länder auf oft schmerzhafte Weise spiegelt. Da ist Ismail Lani, ZKs Pressesprecher, Sohn eines auf Befehl des Diktators Enver Hoxha hingerichteten kommunistischen Mitstreiters. Da ist die Journalistin Ylbere Lenz, Enkelin eines von den Albanern vor den Nazis versteckten Prager Juden. Da ist die kluge Juristin Baia Muniq, deren Vater ein Fan von Bayern München war. Und die ihren Freund, den biederen österreichischen EU-Diplomaten Karl Auer, mit den Feinheiten der albanischen Kultur vertraut macht.
Um diese Kultur geht es Menasse nämlich. Oder genauer: um ein Europa der Kulturen, das sich in der Lage sieht, die kalte Welt jener Nationalismen zu überwinden, deren übelste Auswüchse in Polen und Ungarn zu erkennen sind. «Zwerge haben die Welt erobert», lautet denn auch der erste Satz des Buchs.
Menschen anstelle abstrakter Ideen
Doch die literarische Überzeugungskraft von «Die Erweiterung » liegt nicht in einem – klug kaschierten – politischen Programm. Im Gegenteil. Menasse stellt lebendige Menschen ins Zentrum, nicht abstrakte Ideen. Das macht die Lektüre auch über eine lange Strecke von rund 650 Seiten zum Genuss.
Buch
Robert Menasse - Die Erweiterung
653 Seiten (Suhrkamp 2022)