Ameisen sind Gärtner: «Neben dem Vergissmeinnicht profitieren von ihrem Verbreitungsservice die Walderdbeeren und Waldveilchen.» Die Ameisen knabbern nämlich an den Samen der Blüten, zerstören sie aber nicht ganz, sondern nur die Hülle rundherum – ein «Leckerbissen». Müllabfuhr-Ameisen entsorgen danach den Rest aus dem Bau auf dem Waldboden und sichern so das Überleben der nächsten Pflanzengeneration.
Plädoyer für den eigenen Lebensraum
So sinnvoll geht das zu und her im Wald. Zumindest, wenn man dem deutschen Förster Peter Wohlleben glauben darf, der Bestseller um Bestseller schreibt. Jetzt ist sein Buch «Das geheime Netzwerk der Natur» erschienen, nachdem er mit den Büchern «Das Seelenleben der Tiere» oder «Wohllebens Waldführer» Erfolge landete. Der Autor trifft den aktuellen Zeitgeist perfekt: Er lädt die Leserschaft zu einem entspannten Naturverständnis ein. Dabei missioniert er nicht mit Untergangsszenarien; ihm liegt mehr an einem ausgeglichenen Lebensverständnis: «Denn die Natur überlebt den Menschen, umso wichtiger ist, dass wir zu unserem Lebensraum Sorge tragen», sagt er im Gespräch.
Mit amüsanten Geschichten unterhält Förster Wohlleben seine Leserschaft Seite um Seite. Zum Beispiel über das Verhältnis zwischen Wolf und Bär. Meister Petz ist offenbar für den Wolf beim Kadaververzehr eine Gefahr; Isegrim riskiert Saures, wenn er vor dem grösseren Tier nicht Leine zieht. Darum sind die Wölfe mit Krähen eine symbiotische Beziehung eingegangen. Die Vögel melden die Raubtiere aus dem Flug, wenn Gefahr im Anzug ist, und dürfen sich im Gegenzug unbehelligt am Kadaverschmaus beteiligen. Anscheinend gewöhnen die Muttertiere bereits ihre Jungwölfe an einen netten Umgang mit diesen Vögeln. Wer also in nächster Zeit ein paar Krähen am Himmel entdeckt, darf annehmen, dass ein friedliches Wolfsrudel gerade seinen Lunch geniesst. Und falls dem nicht so sein sollte, sind allein die eleganten Flugbewegungen dieser Vögel eine Beobachtung wert.
Im Gespräch mit dem kulturtipp erzählt Peter Wohlleben über Beobachtungen und seine Sicht auf die Natur.
kulturtipp: Sie haben ein affektives Verhältnis zur Tierwelt, etwa der Gemeinen Ameise. Diese fasziniert kaum jemanden.
Peter Wohlleben: Zecken und Fliegen auch nicht. Da sieht man, dass wir eine Mehrklassengesellschaft in der Tierwelt haben. Alle bezeichnen sich als tierliebend und meinen damit Hunde, Katzen oder Meerschweinchen. Aber wenn man sieht, dass eine Fruchtfliege im Schlaf mit den Beinen strampelt, dann sollten wir vielleicht etwas rücksichtsvoller mit den Tieren umgehen.
Mit Verlaub, nun projizieren Sie Ihre eigene Welt in die Fliege.
Nein, das ist der Stand der Forschung, die das Schlafverhalten von Fliegen untersucht. Wir Menschen teilen die chemische Substanz, die Liebe auslöst, mit Haustieren bis hin zum Goldfisch. Und auch mit Insekten. Man weiss heute sogar, dass Schleimpilze ein räumliches Empfinden haben. Sie wandern, um sich anzupassen, auch wenn das sehr lange dauert.
Sie mögen kühne Thesen. So sagen Sie, dass Bäume ohne Blätter die Erdrotation verlangsamen.
Ich will damit nur ein Verständnis für die Prozesse in der Natur wecken. Vieles hängt mit vielem zusammen, alles ist verzahnt. Bei der verlangsamten Erdrotation geht es lediglich um Millisekunden. Anschaulicher ist der Vergleich, dass Bäume mit dem Blätterfall gewissermassen auf Toilette gehen. Das versteht jeder.
Sie sagen, dass das Ökosystem in seiner Gesamtheit unverständlich bleibt.
Ja, darum bedeutet echter Naturschutz immer, nichts tun. Wenn man eine Spezies fördert, schadet man dafür andern umso mehr. Der Auerhahn ist ein klassisches Beispiel: Im Schwarzwald hat man Baumbestände niedergebrannt, um ihn zu fördern. Da verbrennt natürlich vieles mit; deshalb ist das nicht so schlau.
Sie intervenieren als Förster laufend. Wollen Sie sich selbst abschaffen?
Nein, aber ich versuche, baumschonend zu arbeiten. Wir dürfen uns ja am Holz bedienen; ich heize sogar mit Holz. Aber man sollte auf Kahlschläge verzichten und möglichst grosse Waldflächen erhalten.
Für Sie ist es eine moralische Pflicht, der Natur zu helfen.
Nein, das gibt es nur in wenigen Fällen wie dem nördlichen Breitmaulnashorn, von dem es noch drei Exemplare gibt. Es gibt kaum menschliche Interventionen, die der Natur wirklich helfen. Selbst Recyclingpapier nützt der Natur wenig und beruhigt nur unser schlechtes Gewissen. Wir müssen nichts für den Umweltschutz tun und statt dessen nur vieles unterlassen; das sehe ich völlig entspannt. Denn man kann die Natur nicht dauerhaft wirklich kaputtmachen, höchstens unseren Lebensraum zerstören.
Ausgerechnet der brasilianische Regenwald ist für Sie ein Beispiel für die natürliche Regeneration.
Genau, das ist eine schöne Botschaft. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als alle den Weltuntergang vorhergesehen haben. Damit hat man eine ganze Generation in die Hoffnungslosigkeit getrieben. Aber man kann jederzeit das Ruder umwerfen. Ein ununterbrochen schlechtes Gewissen ist schlimm; damit verliert man die Lust zur Verbesserung.
Artenschutz leuchtet ein, aber im Lauf der Jahrhunderte sind Spezies millionenfach ausgestorben.
Globaler Artenschutz ist trotzdem sehr wichtig, und zwar für uns. Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Elefanten mehr; denen ist das wurscht, dass sie als Art aussterben. Aber sie wären ein emotionaler Verlust für die Menschen.
Sie wagen sich aufs Glatteis und behaupten, der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung. Wohin geht es?
Wir definieren ja «Krone der Schöpfung» mit geistigen Fähigkeiten und denken nicht an die Gefühle. Wer intelligent ist wie Einstein, aber unglücklich, hat gar nichts davon.
Da kommen wir auf den Neandertaler, der laut Ihnen mindestens so intelligent wie der Mensch war.
Die neueste These besagt, dass der Neandertaler ein Sexmuffel war, darum konnten die Menschen ihn verdrängen.
Buch
Peter Wohlleben
Das geheime Netzwerk der Natur
223 Seiten
(Ludwig 2017).