Wenn in Kürze der 25. Bond-Film «No Time To Die» anläuft, dürften sich zum ersten Mal seit langem wieder die Kinosäle füllen. Schliesslich ist 007 unser aller Weltretter des Vertrauens; ein Popkultur-Phänomen, das kaum mehr einer Erklärung bedarf. Was sang Sheryl Crow noch mal in ihrem Bond-Song: «Martinis, girls and guns»? Tatsächlich ist die Bilderwelt des Leinwand-Bonds längst so dominant, dass gerne vergessen geht: 007 lebte in all den Jahren auch als Romanheld weiter. Dabei ist er so erst noch der spannendere von beiden.
Komplexer als die Filminkarnationen
Schon jener James Bond, der 1953 in Ian Flemings «Casino Royale» seinen ersten Auftritt hat, ist komplexer als die meisten späteren Film-Inkarnationen. 007 ist ein Antiheld, arrogant, kalt und unsympathisch. Doch weiss er auch um seinen Hochmut, der ihn zu Fehlern verleitet. Seine taffe Fassade bröckelt schliesslich, als er zuerst einen Mordanschlag und später die Folter seines Gegenspielers Le Chiffre überlebt. Ein traumatisierter Bond zweifelt jetzt gar an seinem Beruf: Lässt sich die Welt wirklich so einfach in Gut und Böse unterteilen? So gewährt Fleming im Verlauf von 12 Romanen und neun Kurzgeschichten immer wieder Einblicke in Bonds Inneres. Mal sinniert der Agent über seine Sterblichkeit, mal widert ihn gar das eigene unbarmherzige Töten an. In «Man lebt nur zweimal» ist er schliesslich nur noch ein saufendes Wrack: Der Tod von Gattin Tracy hat ihn gebrochen.
Als James Bond erstmals nach Flemings Tod wieder in einem Roman auftaucht, spielt er jeden Donnerstag Golf und ist ganz froh darüber, dass seine letzte Mission kurzfristig abgeblasen wurde. Nein, in Todesgefahr scheint 007 zu Beginn von «Colonel Sun» nicht zu schweben. Oder etwa doch? Der britische Autor Kingsley Amis schreibt die offizielle Bond-Fortsetzung im Auftrag von Flemings Erben und veröffentlich sie 1968 unter dem Pseudonym Robert Markham. Amis hat sich gut vorbereitet: Im Buch «The James Bond Dossier» befasste er sich als einer der Ersten literaturwissenschaftlich mit Flemings Werk. So weiss er: Der Schlüssel zu einem gelungenen Bond-Roman ist der Schreibstil.
Kingsley Amis ist top – John Gardner ein Flop
Fleming trieb die Handlung mit aktiven Verben und knackigen Sätzen voran. Ins Detail ging er nur, wenn es um spezifische Landschaften und Pflanzen ging, um bekannte Restaurants, Bonds Mahlzeiten oder seine rasanten Autofahrten. Die ausführlichen Beschriebe erdeten die bisweilen überspannten Plots und machten Bonds Abenteuer zu einem sinnlichen Stück Eskapismus. Amis gelingt diese Mischung ausgezeichnet. «Colonel Sun» setzt ein Jahr nach der Handlung von Flemings letztem Roman «Der Mann mit dem goldenen Colt» ein. Die Suche nach seinem entführten Chef M führt 007 in die Ägäis. Eine griechische Spionin, ein früherer Widerstandskämpfer und ein abtrünniger chinesischer Offizier – «Colonel Sun» ist ein Bond-Abenteuer mit einer Spur John Le Carré.
In den Jahren danach wirkt der Umgang der Fleming-Erben mit dem literarischen Bond lieblos und nachlässig – wohl einer der Gründe, weshalb dieser in Vergessenheit gerät. Nach zwei Romanfassungen von Bond-Filmen gibt Ian Fleming Publications erst Anfang der 1980er bei John Gardner neue Geschichten in Auftrag. Der Ex-Elitesoldat schreibt 14 Bond-Abenteuer, deren Handlung er aus Flemings Original-Zeitrahmen in die 1980er versetzt. Viel störender als das ist aber schlicht alles andere. Ein Yuppie-Agent, riesige Mutanten-Fledermäuse und die einbusige Tochter von Erzfeind Bloefeld – im besten Fall lesen sich Gardners Romane wie alberne Bond-Parodien. Wenn der Autor jedoch Flemings Rassismus, Sexismus und Homophobie reproduziert, wirken Gardners Bücher auf verstörende Art aus der Zeit gefallen. Da tut es dann schon gar nicht mehr weh, dass die nachfolgenden sechs Bond-Abenteuer von Raymond Benson einfach uninspiriert wirken.
Anthony Horowitz erweckt Bond wieder zum Leben
Die Kehrtwende kommt in den 2000ern. Gleich eine Reihe von Autoren haben dem literarischen Bond in den letzten Jahren neues Leben eingehaucht. Charlie Higson lässt den späteren Agenten in seiner Young-Bond-Jugendbuchreihe vom stillen Waisenkind zum Draufgänger werden. Van Jensen greift die Stimmung von Flemings Romanen in seinen düsteren Comic-Panels auf. Und der schottische Autor William Boyd schreibt 2013 mit «Solo» einen atypisch politischen Bond-Roman. Boyd schickt den Agenten 1969 in einen fiktiven, dem nigerianischen Biafra-Krieg nachempfundenen Ölkonflikt. Sein alternder Bond liest sich gut, ist er doch mehr denn je grübelnd, mysteriös, beschädigt.
Dass aber heute wieder über den literarischen Bond gesprochen wird, ist vor allem Anthony Horowitz zu verdanken. Der Engländer schreibt 2018 mit seinem zweiten Bond-Abenteuer «Ewig und ein Tag» ein gelungenes Prequel zu «Casino Royale». Horowitz lässt Bond an der Côte d’Azur den Mord an seinem Vorgänger untersuchen. Ein spannendes und stilechtes Stück flemingscher Eskapismus. Und mittendrin: Ein junger 007, noch unversehrt und doch schon über den Tod nachdenkend. Als ihn sein Gegner mit Heroin vollpumpt, überkommt ihn im Rausch die Erkenntnis: «Ich werde für immer leben.» Die Drogen mögen da aus ihm sprechen. Und doch: In Bonds Vision schwingt die Wahrheit mit.
Film
No Time To Die
Ab Do, 30.9., im Kino
Büchertipps
Anthony Horowitz
Ewig und ein Tag
400 Seiten
(Cross Cult 2019)
Van Jensen, Dennis Calero
Casino Royale
176 Seiten
(Splitter 2018)
Charlie Higson
Young Bond Band 1: Stille Wasser sind tödlich
(Arena 2015)
Robert Markham
Colonel Sun
240 Seiten
(Cross Cult 2014)
Ersterscheinung: 1968
William Boyd
Solo
368 Seiten
(Berlin Verlag 2013)