Die schlechte Schulnote war garantiert, als mein neunjähriges Patenkind bei der Prüfungsfrage «Nenne einen bekannten Schweizer Künstler» «Marco Rima» auf sein Blatt schrieb. Der korrigierte Test kam sogar mit einem Kommentar versehen zurück: «Künstler, nicht Komiker!», stand da in Rot und doppelt unterstrichen.
Zwischen Kunst und Komik gibt es offenbar einen gewaltigen Unterschied. Warum eigentlich? Ein rostiger Hafenkran ist subversive Kunst, ein Stück Seife an der Art Basel, angeblich aus Berlusconis Arschfett gefertigt, ein ironischer Kommentar zur Gegenwart, aber Comedy ist nicht ernst zu nehmen? Peach Weber, der König des Klamauks, brachte es auf den Punkt: «Wenn ein Komiker ‹Pimmel› sagt, empört man sich. Wenn sie im Opernhaus splitternackt über die Bühne huschen, ist das gesellschaftskritisch.»
Lustig hat einen schweren Stand. Witzige Filme gewinnen keine Oscars. Comedians kommen kaum in den Genuss von Fördergeldern. Kabarett findet nicht im Feuilleton statt. Das lustige Gewerbe hat ein grosses, hässliches U auf die Stirn tätowiert. U wie «Unterhaltung», im Gegensatz zu seiner noblen Schwester E, «ernste, beziehungsweise ernst zu nehmende» Kunst. Doch wer zwischen E und U unterscheidet, unterscheidet zwischen Kopf und Bauch. Und um seinen Bauch kommt keiner rum. Gerade jetzt in der Badesaison, wo er uns erneut einen Strich durch die Bikinifigur macht, wird uns das wieder schmerzlich bewusst.
Die gute Nachricht: Künstler, die sich über solche Schubladisierungen hinwegsetzen, laufen Gefahr, echte Legenden zu werden. Adriano Celentano zum Beispiel, der sich sowohl als italienischer Indiana Jones durch Filme wie «Bingo Bongo» blödelte als auch mit «RockPolitik» anspruchsvolles, satirisches Politfernsehen zum Thema Pressefreiheit machte. Jedenfalls, bis es Berlusconis Anwälte verboten. Der in Canzoni wie «Il ragazzo della via Gluck» das ganze Drama des Auswanderungslandes Italien zusammenfasste, in «Azzurro» hingegen Sommer, Ferien und Gelati besang.
Humor ist ein «Niesen des Geistes, das sich Bahn bricht, wenn ein scheinbarer Widerspruch aufgelöst wird», sagt der Soziologe Helmuth Plessner. Humor entsteht am Widerspruch, am Bruch. Wenn Ihnen Ihre Vorgesetzte im Büro die Leviten liest, aber Lippenstift an den Zähnen hat, müssen Sie sich Ihr Lachen verkneifen. Der Bruch zwischen derangiertem Äusseren und einen auf dicke Hose machen ist einfach zu köstlich. Die Macht mag das Lachen nicht. Weil es den Bruch zwischen Schein und Sein entlarvt. Weil es sie und ihre Autorität infrage stellt. Darum gibt es keine witzigen Nazis und keine selbstironischen Revolutionäre. Stellen Sie sich einen lustigen Taliban vor. Gaddafi beim Grimasse schneiden und Kim Jong-un beim Blödeln. Nicht? Eben. Humor ist die stärkste Waffe gegen Ideologen, gegen die Mächtigen und andere Zeitgenossen mit Brett vor dem Kopf. Hätten sich die Leute bei Hitlers öffentlichen Reden den Bauch gehalten und den Spasti mit der sich ständig überschlagenden Stimme einfach ausgelacht – ihm wären die Weltherrschaftsfantasien ziemlich schnell vergangen.
Genau das ist doch die Aufgabe der Kunst: Wehtun. Unbequem sein. Herrschende Verhältnisse infrage stellen. Von unten nach oben treten. Was sagt das über die Kunst, wenn sich gerade jetzt, im Wahljahr 2015, so viele Politiker mit ihr schmücken wollen? Sich unsere Volksvertreter an Vernissagen, auf den VIP-Tribünen der Open Airs und an den Literaturtagen die Füsse in den Bauch stehen? Sich der biederste Anzugträger am Filmfestival einbildet, auch ihn umwehe ein Hauch Kinski? Jeder Provinzgemeinderat stolz wie Bolle ein Selfie vom AC/DC-Konzert postet? Es sagt uns, dass Kunst offenbar nicht mehr wehtut und der Macht schmeichelt, statt sie infrage zu stellen. Dass Kunst so leicht verdaulich ist wie ein Glas Prosecco auf der Piazza Grande. Welch ein Armutszeugnis!
Abhilfe schafft das Lachen. Ungehindertes, echtes Lachen ohne Rücksicht auf Befindlichkeit oder Schicklichkeit. Selbst im Mittelalter, dem Vernehmen nach nicht die lustigste Zeit auf Erden, hatte jeder König einen Hofnarren. Ein bunter Hund, der als Einziger über den König spotten durfte, ohne dafür geköpft zu werden. Laut NZZ hat alleine die Bundesverwaltung fast 35 000 Angestellte – was durchaus dem Hofstaat eines reichen Fürsten entspricht. Der besteht heute nicht mehr aus Mägden, Rittern und Stalljungen, sondern aus Informatikern, Richterinnen, Sachbearbeitern. Aber warum zum Henker keinem einzigen Komiker? Okay, er oder sie könnte zwar nicht, wie das Amt für Statistik, zuverlässige Daten zur durchschnittlichen Quadratmeter-Betopfung des Schweizer Balkons liefern, dafür etwas über den geistigen Zustand des Landes verraten. Könnte keine Bundesfinanzen sanieren, aber zeigen, dass es in Bundesbern noch mehr zu lachen gibt als «Bü-bü-Bündnerfleisch». Unser aller Hofnarr würde provozieren, parodieren und sich selber richtig zum Affen zu machen. Gerade Letzteres sollte man nicht alleine den Politikern überlassen.
Aber bis es so weit ist: Lachen Sie doch wieder einmal laut heraus. Lachen Sie über Ihren Vorgesetzten, Ihren Mann, Ihren Kadi und über Ihre Gemeindepräsidentin. Und vor allem – lachen Sie über sich selbst.
Lisa Catena
Die Berner Oberländer Kabarettistin Lisa Catena (*1979) hat 2012 den Förderpreis der Oltner Kabaretttage und 2013 den «Swiss Comedy Award» gewonnen. Sie machte eine Tanzausbildung und besuchte die Jazzschulen in Zürich und Bern. Zurzeit ist sie mit ihrem Kabarett-Programm «Wahlversprechen» unterwegs.