Geht es inniger? Perfekter? Bewegter? All das fragten sich kürzlich die Konzertbesucher in der Zürcher Tonhalle beim Auftritt von Lisa Batiashvili. Erstaunlich: In den letzten 15 Jahren war die Geigerin bloss zweimal zu Gast in Zürich – in der aktuellen Saison gleich viermal, sie ist Artiste in Residence beim Tonhalle-Orchester.
Wie Artiste-Vorgängerin Yuja Wang ist Batiashvili eine Künstlerin, die angesichts ihrer herausgeputzten Bilder und ihrer attraktiven CDs leicht in die Ecke der Glamour-Klassikwelt gestellt werden könnte. Bei Batiashvili an solcherlei zu denken, bringt jeden, der mit ihr eine Stunde gesprochen hat, zum Lachen.
Den letzten Ton gespielt, sitzt die 1979 in Tiflis geborene Georgierin nach der Probe am Vorabend des Konzerttages im Sitzungszimmer der Tonhalle-Gesellschaft, nimmt einen Espresso entgegen und schaut mit einer «Gehts jetzt endlich los?»-Miene über den Tisch. Wehe, da flacht das Gespräch mal ab und eine jener Floskel-Fragen taucht auf.
Im Frühling hat sie für «Die Zeit» einen Essay mit dem Titel «Ukraine: Freiheit gibt es nicht umsonst» geschrieben. Wenn Europa die Ukraine im Stich lasse, verliere es die Achtung vor sich selbst, postulierte sie. Und erntete dafür Dutzende negativer Kommentare.
Die Georgierin schreibt als ehemalige Sowjetbürgerin, sie weiss, was die Ukraine erlebt. «Ich fühle, dass es meine Pflicht ist, meine Position zu formulieren, da ich aus einer Weltecke komme, die sehr viel mit diesen Problemen zu tun hat.»
Geige als Sprachrohr
Um Grosses zu sagen, benutzt sie aber lieber ihre Geige. Auf dem Majdan, dem Freiheitsplatz von Kiew, trat sie vor kurzem auf. Und dann war da eine die Klassikwelt wachrüttelnde Geste. Als sie letztes Jahr mit dem russischen Dirigenten Valery Gergijev auftrat – er ist ein Künstler von Wladimir Putins Gnaden, der mit seiner Unterschrift die Besetzung der Krim und den Krieg in der Ukraine unterstützte –, spielte sie als Zugabe das Proteststück «Requiem for the Ukraine» von Igor Loboda. Das sass. Gergijev reagierte nicht darauf, und sie zuckt heute mit den Schultern.
Eine Antwort steht im «Zeit»-Essay, dort zitiert sie den Schriftsteller Bertolt Brecht: «Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.» Und fügt an: «In westlichen Ohren klingt sein Pathos wahrscheinlich anachronistisch. In meinen klingt es wie ein Versprechen.» Die Frage, warum sie überhaupt mit Gergijev auftrat, ist falsch. «Meine Geste war ja nur möglich, weil ich mit ihm spielte.»
Die Gesellschaft mit Musik zu beeinflussen, darauf versteht sich auch einer ihrer Helden, der Dirigent Daniel Barenboim. «Wir sind keine Träumer», sagt sie. «Wir können die Politik nicht verbessern, aber wir setzen uns für das Gute ein, wir bleiben nicht unbeteiligt.» Oft denkt sie daran zurück, wie zuvorkommend sie 1990 in Europa empfangen worden war, das sowjetische Kind. «Für viele Menschen im Osten ist der Traum vom freien, sicheren Leben, von der Demokratie noch nicht in Erfüllung gegangen. Alles, was hier selbstverständlich ist, das haben die Leute dort nicht.»
Mit Respekt fürs Werk
«Damals» kam ein sowjetisches Wunderkind nach Europa. Die starre sowjetische Geigen-DNA allerdings galt es erst noch aufzubrechen. Die legendäre Münchner Geigenlehrerin Ana Chumachenco gab ihr die entscheidenden Impulse. In ihrem Werdegang spielte auch die Stadt Zürich eine Rolle: 2001 erschien in der NZZ eine Kritik über Batiashvilis Debüt-CD bei EMI. Verfasser war ein gewisser Alfred Brendel, weltberühmter Pianist. Für die Geigen-Novizin eine unglaubliche Ehre und eine Bestätigung, dass sie auf dem richtigen Weg war. Ob sie selbst einmal eine Kritik über einen jungen Geiger schreiben wird? «Nein», sagt sie bestimmt, «es gibt so viele Wege, Musik zu machen. Ich bin nicht da, um einen davon zu kritisieren.» An einem Geiger schätze sie die schwer definierbare «Kultur des Spiels», eine Kombination aus Persönlichkeit und Respekt für das Werk. «Aber manchmal fasziniert mich jemand, obwohl ein anderer genauso gut gespielt hat. Dann muss man einfach sagen: Mir hat es gefallen.»
Lisa Batiashvili verbindet in ihrem eigenen Spiel perfekt, was sie sich von anderen wünscht: Sie vermittelte das finnische Violinkonzert von Jean Sibelius so emotional und so tief persönlich, dass das zurückhaltende Zürcher Tonhalle-Publikum jubelte.
CDs
Bach: Werke von
J.S. und C.P.E. Bach
(DG 2014).
Brahms: Violinkonzert
(DG 2012).
Radio
Sibelius/Brahms
Do, 17.12., 20.00 Radio SRF 2 Kultur
Mit: Lisa Batiashvili/Tonhalle-Orchester Zürich/ Leitung: Lionel Bringuier
Konzerte
Kammermusik-Soirée
So, 13.12., 19.30 Tonhalle Zürich
Violinkonzert Dvorák/Mahler
Do/Fr, 16.6./17.6., jew. 19.30 Tonhalle Zürich