«Ich stell höchi Asprüch a mich sälber: Ich wett e Leonarda da Vinci sii... Ärztin, Künstlerin, Philosophin.» Mit 23 schrieb Lidija Burcak dies in eines ihrer Tagebücher. 55 hat sie seit 1990 vollgekritzelt: Mal zig Einträge am Tag, dann lange Stille. Ein Bruchteil schaffte es in ihr jetzt erschienenes Buch «Nöd us Zucker »: Ungeschönt – nur die Namen wurden geändert. Wie ein Gummiball hüpft Burcak zwischen Wut, Trauer und Glück. So wie das Leben junger Menschen oft einer Achterbahnfahrt gleicht. Die Autorin breitet ihr Erwachsenwerden zwischen Schwärmereien, Jobs und Krisen aus. Das berührt generationenenübergreifend – trotz saloppem Zürideutsch. Immer präsent: Die Suche nach ihrem Platz in der Welt. Gefühlvoll, frech und brutal ehrlich ist das. Jäh ploppen Erinnerungen an eigene Jugendsünden und historische Ereignisse wie Fukushima auf.
«Davor hatte ich riesen Schiss, danach heulte ich»
1983 als Tochter jugoslawischer Einwanderer in Winterthur geboren, versuchte die heute 38-Jährige sich nach KV, BMS, KME und Studium als Journalistin. Spannend war es beim Winterthurer Privatradio allemal. Wurde die Musikbegeisterte aber, statt über Michael Jacksons Tod zu berichten, zu einem Brand ins «verfiggte Toggenburg» geschickt, schrieb sie ihren Frust fluchend nieder. Auch bei den TV-Sendern Arte oder SRF wurde Burcak nicht richtig glücklich. Härter als mit Kollegen aber geht sie mit sich selbst ins Gericht; fällt in tiefe Löcher, zweifelt und hinterfragt ihre Qualitäten. Wieso teilt man seine intimsten Gedanken mit Wildfremden? Improtheater spielen, ein «Fuck- It-Moment » und die Aussicht, bald in London «Visuelle Anthropologie » zu studieren, führten zur ersten Lesung. 18 von 20 Zuhörern kannte sie bereits. Dennoch wurde es überaus emotional: «Davor hatte ich riesen Schiss, danach heulte ich», resümiert sie beim Treffen mit dem kulturtipp. Unverhofft wurde sie für weitere Lesungen angefragt. Anfangs kostete das Überwindung. Die räumliche Distanz zur Schweiz half aber, die Publikumsreaktionen einzuordnen. 2015 schliesst sich der Kreis: «Holy fuck! Jetzt bin i grad am Denkfest gsi im Volkshuus (…) WIE MIR FUNKTIONIERED! WELLI FRAGE MIR STELLED, WOZUE MIR FÄHIG SIND (...) OH MEIN GOTT ICH HAN SINN GFUNDE!» Leonarda da Vinci oder Ärztin ist Burcak nicht geworden, Künstlerin durchaus. Daneben dreht sie Dokfilme und arbeitet beim Spielfilm. Tagebuch schreibt sie nach wie vor – ihre Suche ist längst nicht zu Ende.
Buch: Lidija Burcak
Nöd us Zucker
192 Seiten, (Der gesunde Menschenversand 2022)
Lesungen:
So, 16.10., 20.00 Kaufleuten Zürich
Sa, 22.10., 18.30 Nacht der 1000 Fragen Biel
Do, 27.10., 19.00 Woerdz Spoken Word Festival Luzern
www.lidijaburcak.com
Lidija Burcaks Kulturtipps:
Kindermusical: Der Löwe, der nicht schreiben konnte
«Die Moral dieses Stücks, das ich mit meinem vierjährigen Neffen im Zürcher Bernhard Theater gesehen habe, berührte mich: Zugeben, wenn man etwas nicht kann.»
Radio: NTS
«Seit ich in London war, höre ich ständig Radio NTS. Die musikalische Vielfalt ist überwältigend und öffnet neue Horizonte.»
www.nts.live
Theater: Fahrenheit 451
«Diese Inszenierung im Theater Rigiblick in Zürich lasse ich mir nicht entgehen – auch weil meine gute Freundin Sarah Kappeler mitspielt.»
www.theater-rigiblick.ch