Schweizer Literatur
Ursula Fricker: Ausser sich (Rotpunkt 2012)
Ein Schicksalsschlag wirft ein Berliner Architektenpaar aus der Bahn: Der Mann erleidet eine Hirnblutung. Er kommt mit dem Leben davon, bleibt aber geistig behindert. Ursula Fricker entwickelt in einer akribisch genauen Sprache den Wandel einer Beziehung zwischen einer gesunden Frau und einem Partner in einer andern Bewusstseinswelt. (hü)
Franz Hohler: Spaziergänge (Luchterhand 2012)
Jede Woche hat Franz Hohler einen Spaziergang unternommen und mit den Augen des Poeten auf seine Heimat und die Welt geschaut. Der Schriftsteller bewahrt dabei die neugierig-kindliche Perspektive. Daraus sind kleine, feine Beobachtungen entstanden, die den Blick für das Alltägliche und Unscheinbare
schärfen. (bc)
Jens Nielsen: Das Ganze aber kürzer (Der gesunde Menschenversand 2012)
Der Zürcher Jens Nielsen ist beides in einem: Bühnenautor und Schauspieler. Im besten Fall kann er seine eigenen Texte interpretieren. Sein neues, zweites Buch versammelt drei seiner Bühnenprogramme, ursprünglich eben gesprochene Texte, die es nun mit Genuss zu lesen gibt, typisch Nielsen: Raffiniert, komisch, absurd. (hau)
Hansjörg Schneider: Nilpferde unter dem Haus (Diogenes 2012)
Von 2000 bis 2011 hat der Basler Autor Hansjörg Schneider seine Erinnerungen und Träume, die er meist um drei Uhr morgens notierte, in einem Tagebuch festgehalten. Es sind berührende Zeugnisse eines Lebens, das vom Selbstmord seiner Mutter, dem Tod seiner geliebten Frau und dem Schreiben geprägt ist. (bc)
Internationale Literatur
Irena Brezna: Die undankbare Fremde (Galiani Verlag 2012)
Ein Roman zur Migrationsdebatte in der Schweiz: Die Autorin und Kriegsreporterin Irena Brezna ist 1968 aus der ehemaligen Tschechoslowakei in die Schweiz emigriert. Sie berichtet schonungslos und offen von den Integrationsversuchen ihrer Protagonistin, in der die Einheimischen nur die Fremde sehen. (bc)
Julian Barnes: Vom Ende einer Geschichte (Kiepenheuer und Witsch 2012)
Rentner Tony hat sich mit dem Leben arrangiert. Da erreicht ihn der Brief eines Anwalts, und er sieht sich mit seiner Studentenzeit konfrontiert. Längst vergessene Verletzungen sind plötzlich schmerzhafter denn je. Dieser Roman von Julian Barnes nimmt manche Wende – eine ist überraschender als die andere. (hü)
Jennifer Egan: Der grössere Teil der Welt (Schöffling 2012)
Musikproduzent Bennie Salazar muss sich von seinen Träumen verabschieden: Nicht nur das Musikbusiness, auch das Leben erweist sich als allzu hart. Jennifer Egan erzählt von einer Zeitenwende. Sie startet im San Francisco der 70er und endet im New York des digitalen Zeitalters. Egan erhielt dafür 2011 den Pulitzer-Preis. (fn)
Matthias Nawrat: Wir zwei allein (Hanser Verlag 2012)
Der polnisch-deutsche Autor Matthias Nawrat entwirft in seinem Debütroman ein Porträt der Generation der Unentschlossenen. Als der 30-jährige Benz auf die Schuhverkäuferin Theres trifft, ist es vorbei mit seinem beschaulichen Leben als Gemüsehändler. Ein witziger Roman in erfrischend unkonventioneller Sprache. (bc)
Sachbücher/Biografien
David Small: Stiche. Erinnerungen. Graphic Novel (Carlsen 2012)
Kindheit und Jugend in Detroit sind der Stoff für David Smalls autobiografischen Comic. Er wächst in den wissenschaftsgläubigen 50er-Jahren auf und erleidet, ohne Genaueres zu wissen, ein schweres Schicksal. Bis ihm mit 16 der Ausbruch aus dem Elternhaus gelingt. Anrührend und stark auf Zeichnungen vertrauend. (hau)
Erich Honecker: Letzte Aufzeichnungen (Das Neue Berlin 2012)
Erich Honecker, Ex-DDR-Staatsratsvorsitzender, galt als Apparatschik und Kalter Krieger. Seine Aufzeichnungen im Berliner Gefängnis Moabit Anfang der 90er zeigen seine menschliche Seite: Die packende Niederschrift eines Mannes, der von seinen Idealen bis zuletzt überzeugt war und seine Lebenslügen nicht erkannte. (hü)
Gabriele Katz: Angelika Kaufmann. Künstlerin und Geschäftsfrau (Belser 2012)
Die Churer Malerin Angelika Kaufmann (1741–1807) war ein früher Popstar. Europaweit gefragte Porträtistin und Historienmalerin, war sie auch eine begnadete Selbstdarstellerin. Talent und Cleverness brachten ihr Ruhm und Vermögen. Die Kunsthistorikerin Gabriele Katz beschreibt Kaufmann. (fn)
Christian Scherz, Dominik Höch: Privat war gestern (Ullstein 2012)
Die Medienrechtler Christian Schertz und Dominik Höch kritisieren den zusehends mangelnden Respekt vor Privatem. Mit Ex-Kanzler Gerhard Schröder habe die «Offenlegung des Privatlebens als politische Selbstvermarktung begonnen». Ein aktuelles Buch über die Kommerzialisierung der
Medien. (hü)
Krimi/Thriller
Javier Marias: Die sterblich Verliebten (Fischer 2012)
Kein Thriller im herkömmlichen Sinne: Philosophie und Psychologie gehören auch in Javier Marias’ neustem Roman dazu. Seine Protagonistin beobachtet jeden Morgen im Café ein scheinbar glückliches Paar. Doch dann wird der Mann ermordet und ein packendes Verwirrspiel um die Abgründe der Liebe beginnt. (bc)
Petra Ivanov: Tatverdacht (Appenzeller Verlag 2011)
Die Zürcher Krimiautorin Petra Ivanov ist mit einem neuen Ermittlerpaar unterwegs: Der erste Fall der Ex-Polizistin Jasmin Meyer und des Rechtsanwalts Pal Palushi führt in ein Militärcamp in Kosovo. Dort soll ein Swisscoy-Soldat eine Bardame vergewaltigt haben. Die Schriftstellerin hat für den fesseln-den Krimi selbst vor Ort recherchiert. (bc)
Nicci French: Blauer Montag (Bertelsmann 2012)
Die feinfühlige Psychotherapeutin Frieda Klein hilft der Polizei bei der Suche nach einem verschwundenen Jungen – und gerät in Teufelsküche. Denn sie ist durch einen Patienten mehr in den Fall verwickelt, als sie ahnt. Packendes Psychodrama vor der Londoner Kulisse des Autorenpaars Nicci Gerard und Sean French. (hü)
Leonardo Padura: Der Schwanz der Schlange (Unionsverlag 2012)
Im Barrio Chino, dem Chinesenviertel Havannas, wird ein Toter mit seltsamen Symbolen auf der Haut gefunden. Die Polizei rätselt über deren Bedeutung und die Hintergründe des Mordes. War es ein Santería-Ritual, die mafiöse Abrechnung unter Chinesen? Ein neuer Fall für Havannas Top-Ermittler Mario Conde. (fn)
Klassiker
Sven Regener: Neue Vahr Süd (Eichborn Verlag 2004)
Zehn Jahre vor den Geschehnissen des Kultromans «Herr Lehmann» lebt Frank Lehmann noch in Bremen. Der ungewollte Auszug aus dem Elternhaus, eine chaotische WG und die toughe Sibille bringen ihn aus dem Konzept. Ein komischer Roman über die frühen 80er und den Aufbruch in eine unsichere Zukunft. (jf)
Pétur Gunnarsson: punkt punkt komma strich (Weidle 2011)
Der Roman von 1976, der erste Band eines vierteiligen Zyklus, gilt heute als Klassiker der isländischen Literatur. Jetzt ist der Text erstmals auf Deutsch lesbar: Erinnerungen eines Jungen aus der Nachkriegszeit, Individuelles mit Gesellschaftlichem verbindend, im Stil mit Auslassungen und schöner Lakonik überzeugend. (hau)
Virginia Woolf: Zum Leuchtturm (Fischer 2012)
Ein Ausflug zum Leuchtturm der schottischen Hebriden-Insel Skye. Die englische Autorin Virginia Woolf erzählt das kleine Familienabenteuer aus der individuellen Sicht der Beteiligten. Woolf perfektioniert in diesem kurzen Roman die «erlebte Rede» zu einer eigenständigen Kunstform, die den Leser in ihren Bann zieht. (hü)
Joe Brainard: Ich erinnere mich (Walde+Graf 2011)
«Ein kleines Meisterwerk» nennt Paul Auster das Kultbuch im Vorwort. Schriftsteller Joe Brainard (1941–1994), bekannt vor allem als bildender Künstler, schrieb seine etwas anderen «Memoiren» als eine Fülle kurzer Einträge, die alle mit «Ich erinnere mich …» beginnen und sich nicht an die Ordnung von Zeit und Raum kümmern. (hau)
Kinder-/Jugendbücher
Kirsten Boie: Der Junge, der Gedanken lesen konnte Ab 10 J. (Oetinger 2012)
Valentin ist mit seiner Mutter während der Sommerferien in eine Hochhaussiedlung gezogen. Er kennt niemanden und hängt alleine rum, bis er auf dem benachbarten Friedhof einem älteren Paar beim Picknicken begegnet und ein grosses Abenteuer beginnt. Unbedingt lesen! (bm)
Katja Alves: 1000 Gründe warum ich unmöglich nach Portugal kann 10–12 Jahre
(Beltz & Gelberg 2012)
Filipa wird 11 und wünscht sich einen Hund. Papa ist einverstanden, aber erst in Portugal. Doch Filipa will nicht weg. Sie ist hier geboren. Ein Kinderroman mit überraschendem Happy End. Spannend, witzig und mit viel Tempo erzählt. (rg)
Rolf Lappert: Pampa Blues Ab 14 J. (Hanser 2012)
Der 16-jährige Ben lebt in einem verschlafenen Nest. Er kümmert sich um seinen verwirrten alten Grossvater, träumt von Afrika und vom Abhauen. Dann taucht Lena auf, die er erst für eine Journalistin hält. Ben verliebt sich in sie. Ein wunderbarer Jugendroman über das Erwachsenwerden und die erste Liebe. (bm)
Lorenz Pauli, Suse Schweizer: Leo. Dünen, Strand und mehr 4–6 J. (Atlantis 2012)
Leo ist ein Sachensucher. Mama sagt, er soll den Müll liegen lassen. Doch er macht weiter. Und plötzlich ist auch Papa aufgeregt. Am Strand, tief im Sand, finden sie eine Kiste. Und Leos Schlüssel passt. Eine Geschichte mit wimmligen Bildern, die leuchten, als scheine die Sonne drauf. (rg)