Lesen: Ein wenig Weltkrieg
Regisseur Micha Lewinsky legt mit «Sobald wir angekommen sind» ein Romandebüt vor, das vor Selbstironie strotzt.
Inhalt
Kulturtipp 18/2024
Hans Jürg Zinsli
Nein, ein Hypochonder sei er nicht, zumindest kein grosser. Das sagt Ben Oppenheim, erfolgloser Autor, frisch getrennter Familienvater und gerade im «Nestprinzip» gefangen, weil zu wenig Geld da ist für eine eigene Wohnung. Also wohnt er immer noch bei seiner Ex Marina und den beiden Kindern, besucht ab und zu seinen von Panikattacken geplagten besten Freund in der Psychiatrie und ist mit der erfolgreichen neuen Freundin Julia fast happy.
Solche amourösen Turbu...
Nein, ein Hypochonder sei er nicht, zumindest kein grosser. Das sagt Ben Oppenheim, erfolgloser Autor, frisch getrennter Familienvater und gerade im «Nestprinzip» gefangen, weil zu wenig Geld da ist für eine eigene Wohnung. Also wohnt er immer noch bei seiner Ex Marina und den beiden Kindern, besucht ab und zu seinen von Panikattacken geplagten besten Freund in der Psychiatrie und ist mit der erfolgreichen neuen Freundin Julia fast happy.
Solche amourösen Turbulenzen kannte man bisher aus Micha Lewinskys Filmen «Der Freund» (2008) oder «Die Standesbeamtin» (2009). Aber jetzt legt der 51-Jährige eine Schippe drauf, wird in seinem Romanerstling sowohl persönlicher als auch radikaler. Wobei radikal bei Lewinsky immer noch ausgesprochen unterhaltsam ist.
Ben jedenfalls wird aus seinem alltäglichen Hadern herausgerissen, als sich in Osteuropa die Lage zuspitzt und ein Dritter Weltkrieg droht. Mitten in der Nacht flieht er mit Noch-Ehefrau Marina und den Kindern nach Brasilien, also dahin, wo sich Bens Lieblingsautor Stefan Zweig einst vor den Nazis in Sicherheit brachte.
Mit dem Unterschied, dass bei Lewinsky nicht Petrópolis, sondern ein Touristenvorort bei Recife angesteuert wird, wo die Familie erst mal im Meer rumplanscht. Fast wie Touristen. Erstaunlicherweise mischt sich gerade da in die jüdischen Verfolgungsängste, die Lewinsky noch nie so klar formuliert hat, eine Leichtigkeit, die man selbstironische Bespiegelung nennen könnte. Gestritten und gelitten wird trotzdem. Oder wie Ben es nennt: «Das Judentum. Die Weltreligion des Jammerns.»
Micha Lewinsky
Sobald wir angekommen sind
288 Seiten
(Diogenes 2024)