Antonio Vivaldis berühmte Geigenkonzerte, in denen er musikalisch so suggestiv den Wandel der Jahreszeiten schildert, gehören zum Repertoire aller grossen Geiger. Barockmusiker aber unterscheiden sich von anderen. «Wir spielen mit mehr Verzierungen und nehmen uns grössere Freiheiten heraus», sagt die in Basel lebende Winterthurerin Leila Schayegh.
Nicht weil sie frecher wären, sondern weil sie wissen, dass das damals genau- so war. «Kein Ton wurde so gespielt, wie er notiert ist, vor allem nicht so lang ausgehalten. Und nicht jeder Achtel ist gleichberechtigt. Alles andere wäre viel zu langweilig, und man würde so viele tolle Möglichkeiten verschenken, die Musik mit Farben und Emotionen aufzuladen. »
«Meine persische Seite leidet»
Eine Lieblingsjahreszeit hat die Geigerin nicht: «Ich mochte immer die Abwechslung. Auch in der Musik, wobei ich bei Vivaldi eher die langsamen Sätze liebe, weil ich darin noch mehr zeigen kann: etwa den Wind, der stürmisch oder lau sein kann, oder die Kälte im genialen Satz des ‹Winters›, in dem man das Eis förmlich klirren spürt.»
Seit 2010 ist Leila Schayegh Professorin für Barockvioline an der Basler Schola Cantorum und damit Nachfolgerin der legen- dären Pionierin Chiara Banchini, bei der sie selber studiert hatte. Das Etikett Barockgeigerin findet sie allerdings veraltet: «Mein Repertoire umfasst 300 Jahre. Die frühbarocke Musikwelt eines Corelli ist komplett verschieden von Vivaldi, und gleichzeitig hat man im vom höfischen Zeremoniell geprägten Frankreich eine viel formellere, aber auch subtilere Musiksprache gepflegt.
Jahrzehnt für Jahrzehnt gibt es andere Fragen und Techniken zu berücksichtigen.» Forschen und Wissen ist das eine, am Ende aber ist es die Persönlichkeit der Interpretin, welche die Herzen des Publikums erreicht. Das hat Leila Schayegh mit ihren sehr eigenständigen Album-Einspielungen bewiesen: nebst Vivaldis «Quattro Stagioni » etwa auch mit den Solo-werken von Bach, den Violin- konzerten von Jean Marie Leclair oder Geigensonaten von Brahms mit Pianist Jan Schultsz.
Als Nächstes stehen die «Rosenkranz- Sonaten» von H. I. F. Biber auf dem Programm, noch einmal ein ganz eigenes, spirituelles Geigenuniversum. Zuvorderst steht für Schayegh im Moment aber eine andere Frage: Sie stammt väterlicherseits aus dem Iran, und obwohl sie das Land nicht persönlich kennt und ihre Familie in alle Welt zerstreut ist, geht ihr die Lage dort sehr nahe: «Die zögerliche Haltung der Schweiz beschämt meine Schweizer Seite, meine persische Seite leidet und ist gleichzeitig sehr dankbar, dass ich hier als Frau meine volle Freiheit haben kann. Ich wünsche meinen Landsleuten mehr internationale Unterstützung und bewundere deren Mut unglaublich.»
Neujahrskonzert
Mo, 2.1., 11.00 Tonhalle Zürich
Leila Schayeghs Kulturtipps
Oper/Tanz - Béla Bartók: Der wunderbare Mandarin / Herzog Blaubarts Burg
«Eine poetische, vielschichtige Inszenierung von Christof Loy im Theater Basel, wunderschön getanzt und vom Orchester exzellent gespielt.» Bis Sa, 14.1.
Buch - Ben Guterson: Winterhaus (Verlag Freies Geistesleben)
«Eine Kinderbuchreihe, die meine Tochter gerade verschlingt: Puzzles, Rätsel, Codes, eine magische Welt für Kinder am Anfang der Pubertät. »
Gastronomie - Peng Dumplings, Basel
«Essen gehört auch zur Kultur: Im Gundeli gibt es chinesische Teigtaschen, jeden Tag frisch und in vielen Variationen. Unglaublich delikat, man will sie alle probieren.»