Diese Frau wollte alles – im Beruf und in der Liebe. Die Berlinerin Helen Hessel schrieb in den 20er- und 30er-Jahren in Paris für deutsche Zeitungen und Magazine über die neueste Mode. Ein Bild- und Textband mit dem Titel «Ich schreibe aus Paris. Über die Mode, das Leben und die Liebe» erinnert an diese Frau. Der Band enthält neben zeitgenössischen Fotos unzählige Texte von Helen Hessel über das Leben in der Zwischenkriegszeit, als in Paris alles möglich schien – und doch schon die Katastrophe dräute.
Helen Hessel verfügte über ein zuverlässiges künstlerisches Urteil. So erkannte sie frühzeitig das Genie der Künstlerin Sonia Delaunay und schrieb über eine ihrer Farbkompositionen: «Ein klingender Akkord, in dem von Ton zu Ton rein gestimmte Intervalle sich spannen, gelöst in der Harmonie des Zusammenklangs.» Die Künstlerin Delaunay habe über das «absolute Tonbewusstsein der Farbe verfügt», eine Würdigung, die heute noch jeder Kunstkritiker unterschreiben würde.
Fatale Ménage à trois
Gleichzeitig war Helen Hessel in eine fatale Dreiecksbeziehung verwickelt: Sie war mit dem Schriftsteller und Lektor François Hessel verheiratet, liebte aber den Kunstsammler Henri-Pierre Roché. Diese Konstellation hielt über Jahre an, bis ihr ein Coiffeur beim Waschen und Legen eröffnete, dass Roché eben stolzer Vater geworden sei – mit dem Baby einer Rivalin, von der sie nichts wusste. Die Geschichte war dramatisch genug, dass sie den französischen Regisseur François Truffaut 1962 zum legendären Spielfilm «Jules et Jim» animierte. Jeanne Moreau spielte in der Hauptrolle Helen Hessel. Zudem hatte die Verbindung zwischen Helen Hessel und ihrem Mann François einen Nachklang bis heute: Ihr Sohn Stéphane war als Greis der philosophische Mentor der Protestbewegung Occupy now. Vor zwei Jahren ist er gestorben. Sein Grab auf dem Pariser Friedhof Montparnasse ist heute ein Blumen bestückter Pilgerort der Globalisierungsgegner.
Mehr als schöne Kleider
Für Helen Hessel war die Mode mehr als schöne Kleider: «Es ist nicht erstaunlich, aber wert, immer wieder konstatiert zu werden, dass die Mode mit dem Weltgeschehen in ganz enger Fühlung steht», schrieb sie in einem Artikel «Für die Frau». Oder sie kommentierte angesichts der damaligen Wirtschaftskrise kritisch: «Die Mode gibt sich nicht die geringste Mühe um das Vernünftige …» Mit explizit politischen Stellungnahmen hielt sie sich in der damals gleichgeschalteten deutschen Presse zurück. Zumal sie damit rechnen musste, ihre Aufträge zu verlieren, da sie mit einem Juden verheiratet war.
Dabei stellte sich Hessel immer wieder grundlegende Fragen zur Mode. Mit dem Designer Jacques Rodier ging sie etwa der Frage nach, warum sich die Mode überhaupt verändert: «Es ist die fliessende Bewegung des Lebens selbst, das sich in Ausstellungen, Zeitschriften, Büchern, Möbeln und Bildern, im Gesellschaftlichen und Politischen, ja sogar im Wetter darstellt …»
Buch
Helen Hessel
«Ich schreibe aus Paris»
379 Seiten
(Nimbus 2014).