In den wenigen Tagen vom 5. bis 13. April ist am Lucerne Festival eine erstaunliche Vielfalt von Orchestern, Dirigenten und Werken zu hören. Dabei ist der Oster-Gedanken, die geistliche Musik – einst ein Grundzug des Festivals – überaus präsent.
Fest vor dem Fest
Der Oster-Gedanke ist in Luzern bereits am 6. April in einem Konzert auszumachen, in dem man auf den ersten Blick nur barockverspielte Trompetenschalmaien vermutet. Die sind zu hören, wenn Reinhold Friedrich mit dem Organisten Martin Lücker am Sonntag im Konzertsaal des KKL auftritt. Aber da erklingen auch Passionswerke: etwa die Bearbeitung der Kantate «Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen» für Orgel von Franz Liszt, oder die «Grablegung» aus Paul Hindemiths Oper «Mathis der Maler», für Orgel arrangiert.
Dienstag und Mittwoch der Oster-Vorwoche wird das Gotteswort expliziter: «Leiden, Tod und Auferstehung» ist ein Konzert des britischen Gesangsensembles «Stile antico» überschrieben: In der Franziskanerkirche ist Vokalkunst der Spätrenaissance zu hören, die vom Einzug Jesu in Jerusalem (Palmsonntag) über die Kreuzigung bis zur Auferstehung erzählen wird.
Von der akustisch heiklen Kirche geht es dann in den Konzertsaal. Andras Schiff wird dort mit seiner Cappella Andrea Barca Ludwig van Beethovens «Missa Solemnis» dirigieren. Schon am Donnerstag frohlocken jene, die den Gloria-Jubel lieber im Gotteshaus als im KKL hören wollen. In der Jesuitenkirche dirigiert Marcus Creed das 1745 von Georg Friedrich Händel komponierte Oratorium «Belshazzar», das den Untergang des babylonischen Herrschers schildert.
Geistliches Ende
Nach einem geradezu heidnischen Frühlingsopfer, Gustavo Dudamel und das Bayerische Rundfunkorchester mit Strawinskys «Sacre du printemps», hält der Glaube am Samstag musikalisch wieder Einzug – mit dem Heiligen Gral und dem Abendmahl: Andris Nelsons dirigiert den 3. Akt von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel «Parsifal».
Für ein feierlich geistliches Festivalende sorgt die Aufführung von Gioacchino Rossinis Urfassung «Petite Messe solennelle». Der Bayerische Rundfunkchor bleibt dafür länger in der Stadt, begleitet vom Klavierduo Yaara Tal & Andreas Groethuysen. Luzerns Sopranschatz Regula Mühlemann singt, Howard Arman – Luzerns Theaterchef – dirigiert.
Foundling Museum London Der Komponist und Gönner Georg Friedrich Händel
Georg Friedrich Händel (1685–1759) komponierte sein Oratorium «Belshazzar» in London, wo er als Philanthrop Geschichte schrieb.
Um die 1000 Babys landeten jährlich auf Londons Strassen. Denn im 18. Jahrhundert blieb ledigen Müttern meist keine Wahl, als ihre Kleinkinder auszusetzen. Den jungen Frauen fehlten die Mittel, ihren Nachwuchs aufzuziehen – und sie waren gesellschaftlich geächtet. Dieses Elend bewog den Geschäftsmann Thomas Coram (1668–1751), ein Heim für elternlose Kinder zu gründen – das Foundling Hospital im Stadtteil Bloomsbury.
Coram startete eine Wohltätigkeitskampagne mit Unterstützung von Georg Friedrich Händel, dem Maler William Hogarth und einigen Adligen, die das schlechte Gewissen geplagt haben mag. 1739 wurde das Foundling Hospital gegründet; Kinder erhielten dort eine gute Erziehung und Ausbildung. Die Mädchen sollten ein Auskommen als Hausangestellte oder in der Textilindustrie finden, die Jungen auf See oder im Militär.
Der Musiker Händel verbrachte einen grossen Teil seines Lebens in London, wo er es als Komponist und Musikdirektor zu Wohlstand und Ansehen brachte und in den besten Kreisen verkehrte. So konnte er dem Foundling Hospital mehr als 7000 Pfund beschaffen, nach heutigem Wert rund 2,5 Millionen Franken, zu einem guten Teil aus der eigenen Kasse. Händel führte im Heim auch jährlich den «Messias» auf und überliess die Einnahmen dem Hospital. Diese Konzerte gingen nach seinem Tod bis zum Ersten Weltkrieg weiter. Das Hospital gibt es längst nicht mehr; aber Kinder im Bloomsbury profitieren noch immer vom Musikunterricht, der mit Geldern finanziert wird, die auf ein Legat von Händel zurückgehen.
Heute erinnert das Foundling Museum beim Russell Square in London an Händels Engagement. Auf einem Stockwerk erhält der Besucher Einblick in seine Arbeit als Komponist und seine Londoner Zeit. Man findet das von Händel signierte Testament mit einer Hinterlassenschaft für das Hospital. Der Komponist war im Alter nahezu erblindet, seine Unterschrift ist ein unleserliches Gekritzel.
Woher kam diese Grosszügigkeit Händels? Er gehörte bereits im Sommer 1717 zum kulturellen Kreis des fortschrittlichen Earl of Carnarvon, auch seine Nähe zum sozialkritischen Maler William Hogarth zeugt von einem progressiven Weltverständnis des Komponisten. Händel mag als Zugezogener insgeheim auch auf dauerhaften gesellschaftlichen Respekt gehofft haben, zumal er in London etliche Feinde unter den rivalisierenden Musik-Unternehmern hatte.
Das Foundling Museum dokumentiert heute neben Händels Londoner Zeit die Geschichte des ehemaligen Hospitals. So brauchten Mütter viel Glück, wenn sie ihre Kleinen dort abliefern wollten. Sie mussten aus einer Schatulle eine weisse Kugel ziehen, um ihr Kind in Obhut geben zu können, auf hundert schwarze Kugeln kamen nur wenige weisse. Diese Regelung wurde nach einer Katastrophe eingeführt: Mitte des 18. Jahrhunderts war das Heim eine Weile für alle Kleinen offen – der Ansturm liess sich nicht bewältigen, Tausende von Kindern starben. (hü)
CDs
Stile antico
The Phoenix Rising
(Harmonia Mundi 2013).
Rossini
Petite Messe Solennelle
Santa Cecilia Rom
Leitung: Antonio Pappano
(EMI 2012).
DVD
Wagner
Lohengrin
Leitung: Andris Nelsons
(Opus Arte 2012).
Konzerte mit geistlicher Musik zu Ostern
So, 6.4., 11.00
Konzertsaal KKL
Reinhold Friedrich/Martin Lücker
Orgel & Trompete
Di, 8.4., 19.30
Franziskanerkirche
Chorkonzert 1
«Stile antico»
Mi, 9.4., 19.30 Konzertsaal KKL
Chorkonzert 2
Cappella Andrea Barca, Balthasar-Neumann-Chor, Andras Schiff
Do, 10.4., 19.30 Jesuitenkirche
Chorkonzert 3 – Junge Philharmonie Zentralschweiz, Akademiechor Luzern, Marcus Creed
Sa, 12.4., 17.00 Kirche Maihof
Young – Sonderkonzert zu Ostern Human Rights Orchestra Ensemble
Sa, 12.4.,18.30 Konzertsaal KKL
Sinfoniekonzert 4: Symphonieorchester und Chor des Bayerischen Rundfunks, Leitung.: Andris Nelsons
So, 13.4., 11.00
Konzertsaal KKL
Chorkonzert 4
Chor des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Howard Arman