Die Welt ist überschaubar in der Stadt Paterson im Bundesstaat New Jersey. Paterson heisst auch der Protagonist, ein Busfahrer mit lyrischer Ader, gespielt von Adam Driver. «Paterson» ist auch der Titel eines Gedichtzyklus des US-amerikanischen Schriftstellers William Carlos Williams, Patersons Lieblingslyriker.
Jeden Tag klingelt der Wecker nach 6 Uhr in der Früh. Paterson und seine Frau Laura (Golshifteh Farahani) erwachen. Er geht mit der von ihr liebevoll vorbereiteten Lunchbox ins Busdepot von NJ Transit, schreibt vor der Abfahrt ein paar lyrische Zeilen in sein Notizheft, chauffiert die Passagiere der Buslinie 23 durch die Stadt. Nach Dienstschluss setzt er sich auf eine Bank unten am Wasserfall, um weitere Verse zu schreiben: simple Motive, die Liebe oder eine Streichholzschachtel. Am Abend die Heimkehr und die obligate Runde mit der englischen Bulldogge Marvin, inklusive Halt in der Bar für ein Bier und Begegnungen mit Wirt und skurrilen Stammgästen. Paterson lebt einen poetischen Alltag – ohne Ambitionen, ruhig und gelassen.
Einmal gibt ihm eine auf den ersten Blick Furcht einflössende Gang im Cabriolet von der Strasse einen guten Tipp, sich nämlich vor «Dognapping» in Acht zu nehmen. Oder beim Vorbeispazieren hört Paterson den Reimen eines Afroamerikaners zu, der in einem Waschsalon übt. Es ist der bekannte Rapper Method Man.
Typisch Jarmusch – von Zitaten durchdrungen
Derweil übt sich zu Hause seine Frau Laura in ihren diversen Talenten. Sie pflegt einen ausgeprägten Schwarz-Weiss-Fimmel. Laura streicht in ihrem kleinen Haus das Interieur, Türrahmen, Vorhänge, Textilien – alles schwarz-weiss. Selbst die Cupcakes, die sie für den Bauernmarkt bäckt, sind schwarz-weiss. Und die Gitarre, die online bestellt wird, ist das – natürlich schwarz-weisse – Modell «Harlekin». Laura fasst eine Karriere als Country-Sängerin ins Auge. «Deine Geschichten gehören der Welt», sagt sie zu ihrem Mann. Ebenso: «Du bist ein grossartiger Dichter.» Er müsse unbedingt etwas mit seinen Zeilen machen, zum Beispiel das Notizheft im Reprogeschäft fotokopieren. Aber Patersons poetischen Werken ist ein besonderes Schicksal beschieden.
Er trifft ein Mädchen, das ebenfalls Gedichte schreibt und mit dem sich über die Dichterin Emily Dickinson fachsimpeln lässt. Auf Patersons Bank setzt sich ein Japaner, der Williams’ Gedichtband «Paterson» in einer zweisprachigen Ausgabe bei sich hat. Protagonist Paterson sagt dem Japaner bescheiden: «Ich bin nur ein Busfahrer.» Dann der Japaner: «Das ist sehr poetisch.» Er kennt die Weisheit seiner Heimat: «Lyrik in Übersetzung ist wie Duschen im Regenmantel.»
«Paterson» ist typisch Jarmusch: unaufgeregt lakonisch, voller kleiner Geschichten und Details; von unzähligen Zitaten und Verweisen durchdrungen, auf Filme, Musik, Kunst und Literatur anspielend.
Ganz zum Schluss bleibt das Fazit, dass Jim Jarmuschs wunderbarer Gedichtfilm selber zum wahren Filmgedicht geworden ist.
Paterson
Regie: Jim Jarmusch
Ab Do, 22.12., im Kino