Palästina in den 1930er- und 1940er-Jahren. Das Land steht unter britischer Verwaltung. Die Einwanderung der vornehmlich aus Europa stammenden jüdischen Siedler hat begonnen. Die Gründung Israels soll vorangetrieben werden. Langsam formiert sich auch der Widerstand der arabischen Bevölkerung. In diese politisch bewegte Gründerzeit Israels setzt die 31-jährige israelische Schriftstellerin und Drehbuchautorin Gundar-Goshen ihre turbulente Geschichte. Darin berichtet sie weniger über die Politik als vielmehr über das Leben – und das Lieben in bewegten Zeiten.
Zwei Freunde
Seltsame Vögel finden sich in einem kleinen jüdischen Dorf irgendwo zwischen Haifa und Tel Aviv. Allen voran der titelgebende Protagonist, der durch seine «brillante Mittelmässigkeit» besticht: «Jakob Markowitz’ Gesichtszüge waren ausgesprochen nichtssagend, dass das Auge kaum darauf verharren konnte, sondern zu anderen Dingen weiterglitt. Zu einem am Strassenrand. Einer Katze in einer Ecke.» Die ideale Voraussetzung, um als Waffenschmuggler tätig zu sein – im Dienste der israelischen Untergrundorganisation Irgun, die zu jener Zeit gegen die britischen Besatzer kämpft. Markowitz hat nebenher noch Zeit, seine Felder zu bestellen, Tauben zu füttern und einmal im Monat nach Haifa zu fahren, um mit einer Frau zu schlafen – gegen Geld.
Geld nimmt Markowitz’ Freund Seev Feinberg nie in die Hand, wenn es um Frauen geht. Die gibt es für den starken schnurrbärtigen Obermacho umsonst. Fürs Waffenschmuggeln allerdings ist er nicht geschaffen, «weil sein Schnauzbart ihm vorauseilte, wie eine Kolonne schwarzer Ausrufezeichen». Dafür ist er ein guter Irgun-Wachmann, wenn er sich nicht etwa durch die Frau des Dorfmetzgers vom Dienst ablenken lässt.
Turbulent und wild
Der Roman «Eine Nacht, Markowitz» ist voller Liebesabenteuer und Verstrickungen. So findet Markowitz unverhofft in Europa eine Frau. Nur, glücklich wird er mit ihr nicht. Wie auch der Irgun-Vizechef. Der verguckt sich in Seev Feinbergs Herzdame Sonia, die so wunderbar nach Orangen riecht. «Und da ihn das Verlangen übermannte, kaufte er sich eine Kiste Orangen, stellte sie in sein Zimmer im Hauptquartier und erlaubte keinem, davon zu essen.»
Turbulent und wild bleibt es 425 Seiten lang. Mit viel Humor und deftiger Ironie erzählt die in Israel preisgekrönte Gundar-Goshen die absonderlichsten Geschichten und lässt dabei die Männer öfter mal kläglich auflaufen und die Frauen heldenhaft auftrumpfen. Sinnlich und poetisch, aber auch voller rauer Verderbtheit zeichnet die Autorin ihre Figuren.
Unklare Position
Der Roman bleibt unpolitisch, zumindest vordergründig. Genauer besehen drängt sich die Frage auf: Ist es eine verharmlosende Darstellung der damaligen Ereignisse aus zionistischer Sicht? Vielleicht. Denn unklar bleibt die Position der jungen Autorin – trotz Zitat von Jehuda Amichai am Anfang des Buches: «Auch eine Faust war einmal eine offene Hand». Amichai, erst ein Kämpfer für den Staat Israel, wurde später zu einem Anwalt des Friedens und der Aussöhnung im Nahen Osten und arbeitete eng mit palästinensischen Autoren zusammen. In Anbetracht dessen und der grossen Fabulierkunst, die Gundar-Goshen beherrscht, hat die junge Autorin für ein abschliessendes Urteil eine zweite Chance verdient.
Ayelet Gundar-Goshen
«Eine Nacht, Markowitz»
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
425 Seiten
(Kein & Aber 2013).