Kolumbien 1909: Der junge Schamane Karamatake (Nilbio Torres) steht, von Schlingpflanzen umgeben, am Ufer eines Flusses im Amazonasgebiet und schaut einem Kanu entgegen. Er ist der letzte Überlebende des Cohiuano-Stammes, der von weissen Siedlern ausgerottet wurde. Der Indigene mit Pilzfrisur trägt traditionellen Schmuck – einzig ein Lendenschurz verdeckt seine Blösse. In der Hand hält er ein Blasrohr.
Im Kanu befinden sich zwei Männer – der Indigene Manduca (Miguel Dionisio Ramos) und der deutsche Ethnologe Theodor Koch-Grünberg (Jan Bijvoet). Karamatake soll den Forscher von einer tropischen Krankheit heilen. Zuerst will er nichts mit dem Fremden zu tun haben: «Ich helfe den Weissen nicht.» Kurz darauf macht er sich dann doch auf die Suche nach der seltenen Heilpflanze Yakruna.
Leben für die Pflanzen
31 Jahre später kommt ein US-amerikanischer Botaniker zu Karamatake. Der Schamane soll nun Richard Evan Schultes zur begehrten Heilpflanze führen, weil dieser herausfinden will, ob die Aufzeichnungen in Theodor Koch-Grünbergs Ethnografie der Wahrheit entsprechen. Und er will «träumen lernen», was durch die Einnahme von Yakruna dank halluzinogenen Eigenschaften möglich sein soll. «Du widmest dein Leben den Pflanzen? Das ist das Vernünftigste, das ich je von einem Weissen hörte», sagt der Indigene und willigt sofort ein. Doch der einheimische Reiseführer ist nun ein «Chullachaqui», eine leere Hülle. Weil er lange isoliert lebte, hat er nicht nur den Weg zur Pflanze, sondern auch traditionelles Wissen über Heilmittel aus dem Regenwald vergessen. Erst ein Foto lässt seine Erinnerungen langsam zurückkehren.
In «El abrazo de la serpiente» (Der Kuss der Schlange) zeigt der kolumbianische Regisseur Ciro Guerra auf, welche Veränderungen den Einheimischen durch das Eindringen fremder Siedler seit dem Beginn des Kolonialismus widerfahren sind. Als Basis dienen ihm Reiseberichte früher Forscher, die den Amazonas erkundeten.
Dreh mit Einheimischen
Guerras Film zeigt, wie spanische Priester den Indigenen Kinder entrissen, um sie qualvoll zu angeblich zivilisierten Menschen zu machen. Man sieht auch, wie sehr die Indigenen unter den Kautschukbaronen litten und wie deren Geschäfte den Regenwald zu zerstören begannen. So stellt der Film die Frage, ob der Mensch durch die Wissenschaft seine Brutalität überwinden kann.
Der mehrfach ausgezeichnete Film lebt auch von witzigen Szenen: So kann Karamatake beim besten Willen nicht verstehen, weshalb Wissenschaftler lieber ertrinken würden, als ihre ethnografische Sammlung über Bord zu werfen. Die Hauptfiguren werden von Indigenen aus dem kolumbianischen Amazonasgebiet verkörpert. Ihre Leistung ist eindrücklich – ausgebildete Schauspieler sind sie freilich nicht. Durch sie wirkt die indigene Perspektive des Films aber authentischer. Guerras Film lebt von schönen Bildern, indigenen Sprachen und ausdrucksstarken Persönlichkeiten.
El abrazo de la serpiente
Regie: Ciro Guerra
Ab Do, 28.1., im Kino