kulturtipp: Im Frühjahr ist Ihr erstes Buch herausgekommen. Wollten Sie schon immer Schriftstellerin werden?
Laura Vogt: Ja, bereits in der ersten Klasse. Das Schreiben war und ist meine Art, auf die Welt zu reagieren. Ich war mir während meines Studiums in Luzern nicht sicher, ob ich nur eine romantische Vorstellung davon hatte. Um das herauszufinden, haben mein Freund und ich einen Winter in einem abgelegenen Örtchen in Griechenland verbracht. Es gab dort fast nur Olivenhaine, ich hatte viel Zeit zum Schreiben, und mir wurde klar, dass ich genau das wollte.
Als Sie zurückkamen, haben Sie das Studium am Literaturinstitut in Biel begonnen. Wie beurteilen Sie die Ausbildung dort?
Für mich waren diese drei Jahre wichtig, um Raum zum Schreiben zu haben und das Selbstverständnis zu finden, dass Schriftstellerin ein richtiger Beruf sein kann. Auch der Austausch mit den anderen Studenten und mit meinen Mentoren Francesco Micieli und Ruth Schweikert war wertvoll. Man hockt ja sonst oft in seinem Kämmerchen, und es fällt einem zunehmend schwer, Distanz zu den eigenen Texten zu nehmen.
War es hart, ständig der Kritik ausgesetzt zu sein?
Oh ja! Gerade, weil Schreiben so etwas Persönliches ist. Man macht sich auf gewisse Weise nackt. Das war auch am Institut oft ein Wagnis. Gerade in der Anfangsphase ist ein Text fragil, und wenn ihn zu früh zu viele Leute kommentieren, geht leicht etwas kaputt. Das hat mich manchmal niedergeschmettert, und ich wollte alles hinschmeissen. Aber im Nachhinein habe ich die Kritik meist als kräftigend empfunden. Mich jedes Mal aufzurappeln und weiterzumachen, daran bin ich gewachsen, glaube ich.
Ihr Roman «So einfach war es also zu gehen» ist eine Entwicklungsgeschichte: Die Protagonistin Helen muss ihre Vergangenheit akzeptieren, um ihre erwachsene Gegenwart zu befreien. Ist Helen Laura Vogt?
Nein. Natürlich haben wir Gemeinsamkeiten, aber auch viele Gegensätze. Was wir mit Sicherheit teilen, sind die Orte der Handlung: Helen kommt aus der Ostschweiz, studiert in Luzern und verbringt eine Zeit in Kairo. Der Roman ist aus der Ich-Perspektive geschrieben, weil dadurch Helens Dringlichkeit klarer nachvollziehbar wird. Das «Ich» in einem Text kann meiner Meinung nach nie mit dem «Ich» der Autorin gleichgesetzt werden, denn dieses geschriebene «Ich» verselbständigt sich.
Wie funktioniert das genau?
Ich merkte, dass mir die Figur der Helen entglitt. Sie musste ihren eigenen Weg finden. Ich hatte sogar ab und zu richtige Konflikte mit ihr, zum Beispiel ist sie mir viel zu naiv, was die politische Situation in Ägypten betrifft. Das war manchmal schwer auszuhalten, aber auch ein faszinierender Prozess. Für mich ist das der Zauber des Schreibens: Ich bin ganz für mich, es fühlt sich fast ein bisschen an wie Betrunkensein.
Wie kommen Sie auf Ideen?
Gar nicht, ich habe vor dem Schreiben selten eine konkrete Idee. Manche Autoren sagen, sie fangen kein Buch an, wenn sie nicht schon den letzten Satz im Kopf haben. Bei mir ist das nicht so. Es ist eher ein Ineinandergleiten und Zusammensetzen von vielen einzelnen Text-Fragmenten. Als Erstes stehen die Figuren, und durch sie passiert die Geschichte. Meine Inspirationsquellen sind Begegnungen mit anderen, Beobachtungen und Bücher.
Sie haben das Studium in Biel letztes Jahr abgeschlossen. Wie gestalten Sie Ihren Arbeitstag als freie Schriftstellerin?
Am liebsten schreibe ich morgens. Idealerweise arbeite ich so bis 13 Uhr, aber dann muss ich was anderes machen, um auf neue Ideen zu kommen – spazieren, schwimmen oder backen. Früher habe ich mich manchmal für eine Woche in ein abgelegenes Haus im Appenzell zurückgezogen, da konnte ich schon in aller Frühe schlaftrunken auf der Schreibmaschine anfangen.
Sie schreiben mit der Schreibmaschine?
Ja, manchmal. Das ist genial, wie Musik! Aber nur in gewissen Momenten, wenn ich zum Beispiel mit einem Gedanken nicht weiterkomme. Dann ist die Schreibmaschine mein Hilfsmittel – weil es kein Zurück gibt.
Meinen Sie, der Schreibprozess hat sich durch den Computer verändert?
Ganz bestimmt. Ich stelle mir vor, dass man früher schon vor dem Schreiben klarere Vorstellungen davon haben musste, wo der Text hingehen soll. Heute kann man einfach loslegen und alles schnell wieder ändern, verschieben, neu zusammenfügen.
Im April ist Ihr Sohn Ilias auf die Welt gekommen. Wie vereinen Sie Kind und Schreiben?
Die ersten zwei Monate nach der Geburt war ich Vollzeit-Mami und habe das sehr genossen. Aber irgendwann brauchte ich wieder einen anderen Kosmos. Mein Freund ist auch selbständig, und so können wir uns die Betreuung gut aufteilen. Mittlerweile versuche ich wieder, jeden Morgen mindestens eine Stunde zu schreiben.
Welche Themen möchten Sie unbedingt literarisch verarbeiten?
Ich denke oft, ich müsste politischer schreiben, so wie die Generation von Frisch und Dürrenmatt. Heute ist alles – und damit auch die Literatur – viel privater geworden, individueller. Was mich häufig beschäftigt, ist das Schweizerin-Sein: In unserem Land hört und liest man, was alles passiert in der Welt, aber man lebt unter einer idyllischen Glocke. Flüchtlinge etwa gibt es ja auch in der Schweiz, aber wenn ich durch die Stadt laufe, sehe ich praktisch nichts davon. Und der eigene Bekanntenkreis ist noch so eine Glocke, da haben alle eine ähnliche Meinung. In Wahrheit ist unsere Gesellschaft viel heterogener, als wir denken. Darüber würde ich gerne einmal etwas schreiben.
Laura Vogt
Die 27-Jährige wuchs in Speicher AR auf. Nach der Matura studierte sie Kulturwissenschaften an der Universität Luzern und besuchte anschliessend bis 2015 das Schweizerische Literaturinstitut in Biel. 2012 gewann sie den Schreibwettbewerb des Literaturfestivals Literaare, zwei Jahre später erhielt sie einen Werkbeitrag der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Heute lebt die Schriftstellerin mit ihrem Partner und sechs Monate alten Sohn in St. Gallen. Ihr erster Roman «So einfach war es also zu gehen» erschien im April und handelt von einer jungen Frau im Taumel zwischen Kindheit und Erwachsensein: Die Protagonistin Helen folgt ihrer Liebe nach Kairo, doch auch dort muss sie sich der Vergangenheit und den Erinnerungen an ihren Vater stellen.
Buch
Laura Vogt
«So einfach war es also zu gehen»
188 Seiten
(Edition Literatur Ostschweiz 2016).
Lesungen
So, 16.10., 19.00 Sofalesungen Basel
Do, 27.10., 19.30 Kantonsbibliothek Thurgau Frauenfeld
Do, 3.11., 19.30 Stadtbibliothek Chur
www.lauravogt.ch