Prolog
Oft hacke ich in meinen Texten auf den Männern herum, und oft finden das die Frauen «sauglatt». Da ich aber – man mag es glauben oder nicht – ein fairer Mensch bin, versuche ich nun, mit der folgenden, sommerlichen Geschichte für ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen. Liebe Frauen, nehmen Sie es nicht zu ernst.
Die Frau auf dem Campingplatz funktioniert heutzutage relativ gut. Es gibt an den meisten Orten mehr oder weniger saubere sanitäre Anlagen und Strom. Dennoch ist und bleibt es für den Mann eine risikobehaftete, mit viel Nervenkitzel verbundene Herausforderung, gerade wenn er beschliesst, alleine mit der Frau in den Campingurlaub zu fahren. Es ist stets eine Gratwanderung, die umfassende Vorbereitungen mit sich bringt. Der Mann sollte die Frau und deren Launen gut kennen, bevor er sich auf ein solches Abenteuer einlässt. Daher würde ich Campingurlaube erst nach mindestens fünf Jahren Beziehung empfehlen.
Das ganze komplexe Unterfangen beginnt bereits bei der Losfahrt. Hier braucht es einen starken und intelligenten Mann an ihrer Seite, der beim Anblick des Resultats, wenn die Frau «nur das Nötigste» eingepackt hat – also des riesigen Hartschalen-Koffers, des etwas kleineren Hartschalen-Koffers, des mittleren Trolley-Koffers, der beiden kleinen Trolley-Koffer, des vollgepackten 30-Liter-Rucksacks, der drei Sporttaschen, der Schuhbeutel, der vier Einkaufstüten, der Necessaire-Kiste und der acht Handtaschen –, einerseits nicht völlig verzweifelt und anderseits in der Lage ist, dies alles so in den Seat Ibiza zu stapeln, dass man doch noch irgendwie losfahren kann, ohne die Frau aufs Dach binden zu müssen.
Hat man dies nach drei Stunden noch immer nicht fertiggebracht, lohnt es sich, in Erwägung zu ziehen, kurz beim Autohändler einen grossen Combi auszuleihen.
Auf dem Campingplatz angekommen, versucht man, der Frau am besten eine beschäftigende Aufgabe zu geben, während der Mann sich dem Aufbau des Zeltes widmen kann: Zum Beispiel die Umgebung erkundschaften, Blumen pflücken oder auf das fünf Meter weiter weg geparkte Auto aufpassen.
Am ersten Tag dürfte es noch zu keinen allzu grossen Schwierigkeiten kommen, da die Frau dann erst mal damit beschäftigt ist, ihr Reisegepäck irgendwie in das Zelt zu bekommen. Meist sitzt sie dann über einen längeren Zeitraum, doch höchst konzentriert zwischen dem Zelt und dem viel höheren Gepäckberg und blickt fragend abwechselnd zwischen Zelt und Gepäck hin und her. In dieser Zeit kann sich der Mann getrost etwas Zeit für sich nehmen und die Ruhe bei einem kühlen Bier geniessen.
Die Frau in freier Wildbahn ist ohnehin ein Phänomen. Meist wirkt sie unruhig und leicht verstört, da sie nicht – wie zuhause – irgendwelche Dinge erledigen kann wie bügeln, kochen oder eine Sendung mit Sven Epiney gucken. Deshalb ist es enorm wichtig, dass der Mann, im Wissen darum, die Frau immer wieder ein bisschen tätschelt und beruhigend auf sie einredet; schliesslich ist eine ruhige Frau auch in seinem Interesse. Er sollte im Idealfall auch immer ein bisschen Schokolade in der Hosentasche haben, welche er ihr alle paar Stunden präventiv oder, falls ein akuter Anfall von Hysterie droht, zum Beispiel weil auf den Toiletten keine Seife vorhanden ist, sofort verabreichen kann.
Die ersten Nächte werden für den Mann kein Zuckerschlecken, hier braucht es besonders viel Geduld und Aufopferung. Der harte Boden, die kalten Füsse, die Stechmücken und Spinnen, das riesige gefährliche Tier, das draussen herumschleicht, das alle paar Stunden mit auf die Toilette gehen wegen eben dieses Tiers: All das kostet den Mann viel Energie, die er allerdings morgens, während die Frau ihre stündige Morgentoilette erledigt, mittels Schlaf wieder auftanken kann. Mit dieser wiedergewonnenen Kraft kann er auch gelassener mit der übernächtigten Frau umgehen.
Um die Nächte im Übrigen angenehmer zu gestalten, empfiehlt es sich, abends immer genug Wein dabei zu haben und der Frau stets ein bisschen mehr als einem selbst einzuschenken. Übertreiben sollte man es damit allerdings nicht, gerade wenn man die Umgebung noch nicht allzu gut kennt, schliesslich lauern überall Gefahren für die angetrunkene Frau. Der unebene Boden, steile Gefälle, Wildschweinzäune usw. Grosse Vorsicht ist vor allem in der Nähe von Gewässern geboten.
Um vorzubeugen, kann man der Frau sonst auch unter dem Vorwand eines Rollenspiels oder Ähnlichem versuchen, Schwimmflügel anzuziehen. Dann kann man getrost noch eine Flasche Birnenschnaps öffnen.
Sie werden sehen, unter Beachtung all dieser Dinge kann das ein ganz angenehmer Urlaub werden, und normalerweise wird die Frau kein zweites Mal auf die Idee kommen, campen zu gehen. Von daher ist es wirklich eine einmalige Sache.
Epilog
Für diejenigen, die sich für weitere Lektüre aus dieser Reihe interessieren, gibt es nun auch:
- Die Frau am Heavy Metal Konzert
- Die Frau und der Grill
- Die Frau beim Autorennen
- Die Frau und «Stirb langsam»
- Frau über Bord Teil 1
- Frau über Bord Teil 2
- Die alte Frau und das Meer
- Die Frau auf der Harley Davidson
- Und: Die Frau in den Wechseljahren auf der Harley Davidson (ein 400-Seiten- Schunken)
Lara Stoll
Geboren ist Lara Stoll 1987 zwar in Schaffhausen. Gleich danach zog die Familie allerdings ins thurgauische Rheinklingen. Heute lebt sie in Winterthur und hat vor einem Jahr an der Hochschule der Künste in Zürich ein Film-Studium begonnen. Seit gut fünf Jahren tritt sie mit ihren Texten an Poetry-Slams auf. 2006 wurde sie in München zur besten U20-Slampoetin im deutschsprachigen Raum gekürt. Im September 2010 gewann sie die ersten Slam-Poetry Schweizermeisterschaften, drei Monate später die ersten Europameisterschaften in Reims (F). 2011 gewann Stoll den Appenzeller Kleinkunstpreis «De goldig Biberflade», im November den Thurgauer Kulturpreis. 2010 ist Stolls CD «Die ungaubliche Reise der total verrückten Lara» erschienen.