kulturtipp: Kutti MC, sind Sie unter die Biologen gegangen?
Kutti MC: Ich will Parallelen aufzeigen zwischen den Verhaltensweisen von Tieren und Menschen, aus ungewöhnlichen Perspektiven betrachtet. So stelle ich mir vor, was passieren würde, wenn ein Wal eines Tages mit
einem Krill zu sprechen anfangen würde. Normalerweise verschlingt er ja Tonnen davon. Oder ich entwerfe Alltagssituationen aus der Menschenwelt und besetze sie mit Tieren: Ein Seeelefant trifft nachts beim Dönerstand auf einen Affen. Beide sind betrunken und führen ein pubertäres, rührend naives Gespräch über das System.
Die Geschichten aus Ihrem Programm «Ds Läbe isch überall» werden musikalisch begleitet?
Ja, das Programm ist mit dem grossartigen Schlagzeuger und Musiker Julian Sartorius entstanden. Wir verwenden et-
wa Samples von Tierstimmen. Oder das Trommeln eines Gorillas auf seine Brust als Beat. Julian spielt neben seinem Schlagzeug auch auf Hirschgeweihen, Knochen oder Schildkrötenpanzern. Diese tierischen Instrumente durften wir uns im Archiv des Museums zusammensuchen.
Ihr neues Album «Freischwimmer» will sich der sozialen Realität stellen.
Ja. Es gibt Künstler, die Gegenwelten kreieren, kleine heile Welten, die der Hörer betreten kann wie ein Spa. So muss er sich nicht mit sich selbst konfrontieren. Das ist Wellnesskunst. Viele Songtexter schreiben schwachsinnige Texte. Und dann heisst es nachher, meine Texte seien intellektuell. Würde ich nie sagen.
Und wie frei ist man als Künstler in der Schweiz?
Grundsätzlich ist ein Künstler in der Schweiz so frei wie jeder andere Bürger hier auch. Aber wer ist heute kein Künstler mehr, wenn sich jeder einer nennt oder mindestens künstlerisch aktiv ist? – Gehen wir also von Künstlern aus, die von der Kunst leben oder es mindestens ernsthaft versuchen. Da wirds schon schwieriger mit der Freiheit. Weil
die meisten dieser Künstler von der Kulturförderung oder vom hyperneoliberalen Kunstmarkt abhängig sind, die einerseits bezahlte Freiheit verspricht, aber auch Verpflichtung ist.
Ohne Förderung geht es nicht?
Ohne Förderung wäre die Kultur in der Schweiz viel ärmer. Es gäbe kaum mehr Filme, es gäbe überhaupt keine klassische Musik, keine Oper mehr. Keine Programmkinos. Die Literaturlandschaft würde noch ärmer. Im Jazz gäbe es fast keine Veröffentlichungen mehr. Museen würden verschwinden, Kunstvermittlung wäre nur noch für Wohlhabende erschwinglich, praktisch alle Theater müssten dichtmachen und so weiter und so fort.
Was läuft schief in der Kulturförderung?
Wenn alle was bekommen, sind alle schön ruhig. Nehmen Sie Michael Steiners «Missenmassaker»; das ist ein kulturell wertloser Film. Wenn so einer was weiss ich wie viel bekommt, stimmt etwas nicht. Die Mittel müssten radikaler und flexibler verteilt werden. Es gibt Künstler, deren grösstes Talent darin besteht, Antragsformulare richtig auszufüllen, damit sie von Förderstellen Geld erhalten. Was dann entsteht, ist irgendwas Transdisziplinäres ohne jegliche Dringlichkeit. Die Frage ist doch: Will ein Künstler eine Idee verwirklichen oder bloss sich selbst? Will ein Künstler von der Kunst leben oder für die Kunst?
Und wie ist es in der Popmusik?
Du musst alles selber bezahlen. Ein Label, das dir Vorschuss gibt, gibt es kaum noch. Die Musikindustrie hat kaum mehr Geld für Künstler, die sich nicht im Mainstream bewegen. Wer zahlt noch für Musik? Musik ist gratis, das ist heute eine Selbstverständlichkeit. Wenn Sie mit 18-Jährigen reden, merken Sie das. Die haben 1000-fränkige iPhones, 300-fränkige Turnschuhe aber geben keinen Rappen für Musik aus.
Kann man mit Musik die Welt verbessern?
Nein, das kann man nicht. Und doch kann man. Wenn ich zum Beispiel an das Konzert von Leonard Cohen im August im Hallenstadion denke, dann wirds mir ganz leicht ums Herz. Dieses Gefühl, von jemandem, den man nicht persönlich kennt, verstanden zu werden, kann Musik schaffen.
CD
Kutti MC
Freischwimmer
(Universal 2011).
Auftritt
«Ds Läbe isch überall»
Mi, 18.9., und Di/Mi, 24.9./25.9.
Jew. 20.00
Naturhistorisches Museum Bern
«Unglaublichste Talkshow der Welt»
Eine neue Show von Kutti MC, die experimentell und unterhaltsam seine Aktivitäten und Interessen verbindet: Musik, Improvisation, Theater, Performance, Gespräch mit Gästen und Tanz. Die nächste «Die unglaublichste Talkshow der Welt» findet mit dem wunderbaren Geschichtenerzähler, Motorradfahrer und Kunstmaler
Timmermahn statt.
Aufführung
Mi, 30.10., 20.00 Casinotheater Winterthur