An gewöhnlichen Tagen deutet wenig darauf hin, dass im einstigen Laden an der Zürcher Mutschellenstrasse mit Konventionen gebrochen wird. An manchen Abenden aber sind hier die Schaufenster hell erleuchtet, stehen Menschen dicht an dicht im Innern oder tummeln sich draussen unter dem roten Schrift-zug «Kiosk Tabak». Dann wird der Kunstraum «Kein Museum» von jungen Ausstellungsmacherinnen bespielt, deren Verständnis vom Kuratieren ein gänzlich neues ist.
Das Konzept Ausstellung anders denken
Seit Herbst 2018 betreibt das lose Kollektiv aus neun Kuratorinnen «Kein Museum». Dieses soll Plattform sein für junge Künstlerinnen und Künstler, die aktuelle kulturelle Phänomene untersuchen. In dieser Zeit gab es schon: Fundkunst-Ausstellungen, Schreibwerkstätten, eine Lese-Installation und ein temporäres Tattoo-Studio. Als Nächstes gastiert hier das «Heute Kein Applaus Kollektiv»: Dessen Theaterprojekt «Epic Fail» nähert sich dem Scheitern an.
«Uns ist wichtig, dass wir nicht nur klassische Ausstellungen machen», sagt Nicole Schmid vom Kollektiv. «Kein Museum» solle für verschiedene Themen und Kunstformen offen sein. «Wir sind ein Raum für Experimente», fügt ihre Kollegin Carla Peca an. «Das ‹Kein› in unserem Namen ist unsere Lupe – es wirft die Frage auf, ob man zum Beispiel das Konzept Ausstellung nicht auch anders denken kann.»
Anders gedacht wird etwa auch die Arbeitsaufteilung – von der Konzeption über die Pressearbeit bis zum Aufbau werden die Aufgaben immer wieder neu verteilt. Und anders gedacht ist auch das Verhältnis zwischen Kuratorin und Rezipient. Es sollen keine klassischen Hierarchien herrschen, die Besucher werden aktiver Teil der Projekte. Gerade was die Kuratoren-Rolle im Kunstbetrieb betrifft, sieht Kollektiv-Mitglied Dorothea Deli generell Veränderungspotenzial: «Ausstellungsmacher dürften noch stärker an die Besucher denken; Themen so präsentieren, dass sie einer heterogeneren Gruppe zugänglich werden und dass sich die Besucher selber kritisch damit auseinandersetzen können.»
Die vielfältigen Aufgaben des Kuratierens
Mit diesem Ansatz klinken sich «Kein Museum» in ein aktuelles Thema ein. Einst galten Kuratoren als jene Instanzen, die den grossen Überblick über das Kunstgeschehen vermittelten, Strömungen gross herausbrachten. Noch immer klingen Namen wie Harald Szeemann (1933–2005) nach, der Ausstellungs-Trends setzte. Doch das Feld ist in den letzten Jahren aufgebrochen, gerne wirken etwa Künstlerinnen gleich selber an Schauen mit. Geblieben sei die Grundidee des Berufs Kuratorin, sagt Angeli Sachs von der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Es gehe auch heute noch darum, künstlerische Positionen und thematische Fragestellungen in Zusammenhänge einzuordnen und in einer Ausstellung sicht- und diskutierbar zu machen. Es seien aber neue Aufgaben hinzugekommen: «Man muss sich im Klaren darüber sein, wie man das Publikum in einer Ausstellung anspricht und miteinbezieht – dem sollten sich Kuratorinnen und Kuratoren heute nicht mehr verschliessen», sagt Angeli Sachs.
Die Kunsthistorikerin und Kuratorin leitet den Master of Arts in Art Education Curatorial Studies, in dem die ZHdK angehenden Kuratorinnen einen Werkzeugkasten vermittelt. Studierende lernen das Fach des Ausstellens praktisch und theoretisch; sie sollen über Geschichte, aktuelle Diskussionen und Methoden des Kuratierens Bescheid wissen. «Es ist ein anspruchsvoller Beruf», betont Sachs. «Als Kuratorin sollte man ein informierter Mensch sein – es ist wichtig, auf gesellschaftliche Tendenzen zu reagieren.» Zudem müsse man sich seiner Verantwortung bewusst sein: Kuratoren arbeiteten meist mit öffentlichen Geldern und für die Gesellschaft.
Anwältin der Künstler und ihrer Werke
Zwar sind heute die Angebote an Master- und Weiterbildungsstudiengängen zahlreich, umkämpft ist das Feld trotz allem. Das betont auch Josiane Imhasly. Die Kulturwissenschafterin begann 2013, eigene Projekte umzusetzen – etwa die Freiluftausstellung «Zur frohen Aussicht» im Walliser Bergdorf Ernen. 2017/18 war sie Stipendiatin des Projekts «Kurator» der Gebert-Stiftung für Kultur in Rapperswil. Das Stipendium ist das einzige dieser Art in der Schweiz und ermöglicht es Nachwuchskuratoren seit 2007, ein thematisches Jahresprogramm mit vier Ausstellungen zu realisieren. Dabei sollen die Stipendiaten möglichst viel selber machen – Künstler suchen, zusätzliche Gelder und Transporte organisieren. Gerade dank dieser Vielschichtigkeit habe sie sich während des Stipendiums weiterentwickelt, sagt Imhasly. Ihr Anliegen als Ausstellungsmacherin sei es, Menschen für ein Thema zu begeistern, sie abzuholen. «Als Kuratorin habe ich eine Verantwortung gegenüber den Besuchern. Gleichzeitig sehe ich mich als Anwältin der Künstler und ihrer Werke.»
Bald findet in der Alten Fabrik in Rapperswil die erste Ausstellung des aktuellen Stipendiaten-Gespanns Fanny Hauser/Viktor Neumann statt: Die Gruppenausstellung «When the Sick Rule the World» hinterfragt die Kategorien «gesund» und «krank». Währenddessen denken die Kuratorinnen von «Kein Museum» an die Zukunft ihres Kunstraums. Sie gastierten mit Ausstellungsformaten bereits in anderen Zürcher Räumen und an einem Festival in Frankreich. Und ihr Logo, das durchgestrichene «M», wird wohl auch künftig öfter anderswo als an der Mutschellenstrasse thronen. Innovation war schliesslich noch nie ortsgebunden.
Epic Fail
Sa, 15.2., 18.00 & So, 16.2., 14.00
Kein Museum, Mutschellenstr. 2 Zürich
www.keinmuseum.ch
When the Sick Rule the World
Sa, 22.2.–So, 22.3.
Alte Fabrik Rapperswil-Jona SG