kulturtipp: Herr Schwarz, an welche Episoden erinnern Sie sich in all den Jahren am liebsten zurück?
Dieter Schwarz: Zuerst war die Erweiterung des Kunstmuseums zentral. Wenn wir diesen Schritt vor 20 Jahren nicht getan hätten, wäre Winterthur künstlerisch noch am gleichen Ort wie damals. Die Stadt hätte nichts für uns unternommen; das Museum bestünde lediglich aus dem schönen, alten Bau. Wir mussten unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen.
Heute wäre das nicht mehr so einfach. Entsprach dieser Schritt dem damaligen Zeitgeist, dass jede Stadt einen möglichst grossen Kunsttempel braucht?
Nein, Winterthur lag damals hinter vergleichbaren Schweizer Städten zurück, viele hatten zehn Jahre früher in ihre Museen investiert. Winterthur hatte zwar eine bedeutendere und grössere Sammlung als andere, die war jedoch nicht sichtbar. Aber es stimmt, die Umstände kamen uns entgegen, denn heute könnte man einen solchen Bau nicht mehr für 4,5 Millionen Franken hinstellen, die Anforderungen sind seither gewachsen. Geld von Privaten ist heute in Winterthur schwieriger zu finden.
Und seither ist die Ausstellungsfläche in der gesamten Schweiz massiv gestiegen.
Richtig, aber nicht in Winterthur. Jetzt muss man wieder aufpassen, dass wir nicht erneut ins Hintertreffen geraten. Man darf nie vergessen, dass wir eine bedeutendere Sammlung haben als etwa St. Gallen oder Luzern. Diese Bestände sollten regelmässig zu sehen sein.
Gibt es heute zu viel Ausstellungsfläche in der Schweiz?
Nein, aber es gibt zu viele Veranstalter. Selbst ich habe Mühe, alle wichtigen Ausstellungen mitzubekommen. Das darf uns indes nicht einschränken.
Winterthur hat wahrscheinlich neben Basel die grösste Ausstellungsfläche pro Kopf in der Schweiz.
Das weiss ich nicht, unser Kunstmuseum ist mit 2100 Quadratmetern nicht sehr gross. Aber Winterthur darf sich neben Basel bestimmt zeigen, auch wenn das dortige Angebot mit der Fondation Beyeler und dem Kunstmuseum hochrangig ist.
Ein bisschen Ausstellungsfläche ist in Winterthur mit der vorläufigen Schliessung der Villa Flora weggefallen. Sie wollten diese Sammlung mit Beständen von Edouard Vuillard oder Pierre Bonnard in Winterthur behalten. Jetzt ist sie in Bern. Was haben Sie falsch gemacht?
Das ist komplizierter. Ich bin der Meinung, dass Winterthur zu viele Kleinmuseen hat. Man sollte die Kräfte konzentrieren. Deshalb müsste man die Sammlung Hahnloser-Jäggli an einem bestehenden Kunstsstandort integrieren. Die Stiftung sollte ihre Sammlung der Öffentlichkeit überantworten. Aber diese rund 100 Bilder sind ja nicht alles Meisterwerke. Wir hätten zum Beispiel einfach doppelt so viele Bonnards wie heute, also rund 30. Die könnten wir ja nicht alle miteinander zeigen. Wichtiger als eine grosse Zahl von Werken wäre für uns ein bedeutendes Bild von Matisse, aber das fehlt leider.
Aber die Stadt Winterthur will die Sammlung zurück.
Viel wichtiger als die Villa Flora ist, dass das Kunstmuseum und das Museum Oskar Reinhart nun zusammengehören. Jetzt findet der Besucher Kunst in den beiden benachbarten Häusern vom 17. Jahrhundert bis heute. Das ist eben keine Verdoppelung, sondern eine Ergänzung.
Sehen Sie einen Trend im Museumsmanagement, dass man zwei Häuser unter eine Leitung stellt, wie in Bern mit dem Zentrum Paul Klee und dem Kunstmuseum oder in London mit den beiden Tate Galleries?
Das sind andere Fälle. In London hat man die alte Tate aufgespalten. In Bern hat man die beiden Häuser einst auseinandergerissen und führt sie jetzt wieder zusammen. In Winterthur hingegen geht es um die Konzentration. So können wir nun eine für die Schweiz einmalige Sammlung zeigen. Zum Beispiel Biedermeier, Romantik oder die deutschen Künstler des 19. Jahrhunderts, die ihre Inspiration in Rom holten. Ein solches Ensemble ist einzigartig für die Schweiz.
Ihr Haus hat drei Schwerpunkte in der zeitgenössischen Kunst – Italien, USA und Deutschland. Haben Sie einfach gekauft, was Ihnen gefällt?
Nein, ich habe meine Dissertation über Dieter Roth geschrieben. Nach dieser einfachen Logik hätte ich hier nun eine Dieter-Roth-Sammlung aufgebaut. Ich habe vielmehr gefragt, wie kann man das Bestehende hier in die heutige Zeit weiter entwickeln? Also vor allem die Substanz der französischen Kunst. Die US-Amerikaner haben nach dem Krieg in ihrer grossen Malerei darauf aufgebaut, mehr als die Europäer. Heutige französische Kunst wäre ein falscher Ansatz gewesen, da hätte ich zu wenig Bedeutendes gefunden.
Und dann die Italiener.
Wir haben wichtige Werke von Medardo Rosso oder die grösste Giorgio-Morandi-Sammlung ausserhalb Italiens. Da fand ich es naheliegend, diesen Bereich auszubauen, erst mit Lucio Fontana und Piero Manzoni, dann mit der Arte povera.
Dieter Schwarz
Der renommierte Kunstexperte Dieter Schwarz ist seit 32 Jahren am Kunstmuseum Winterthur tätig, zuerst als Vizedirektor, seit 1990 dann als Direktor. Er machte das Haus in dieser Zeit zu einer der führenden Institutionen in der deutschsprachigen Schweiz. Dieter Schwarz initiierte den Bau eines neuen Flügels für zeitgenössische Kunst. Winterthur verfügt über bedeutende Bestände moderner italienischer sowie US-amerikanischer Kunst.
Calder to Kelly: Die amerikanische Sammlung
Bis So, 13.8.
Kunstmuseum Winterthur
www.kmw.ch