Er liebte das Schöne in der Welt. Die Landschaftsbilder des Luzerner Malers Robert Zünd (1827–1909) zeigen eine Schweiz, wie es sie einmal an einzelnen Orten gegeben haben könnte. Eine intakte Idylle, die der damals allgemein verbreiteten Wahrnehmung wohl entsprochen hatte.
Der geschäftstüchtige Zünd wusste, dass seine Ölbilder den Käufern in ihren guten Stuben gefielen, andernfalls hätte er kaum ein Werk verkauft. Der Basler Fotograf Tobias Madörin (52) hat nun Gemälde wie die «Schellenmatt» als Ausgangspunkt für eine Fotoserie unter dem Titel «Bellevue» genommen. Er suchte mit der Kamera jene Orte auf, von denen aus Zünd seine Zentralschweizer Heimat mit Pinsel und Farbe künstlerisch geschickt festhielt.
Bei Zünd lauerten keine Gefahren
Bei dem naturalistischen Bild von Robert Zünd aus dem Jahr 1863 dominiert ein Baum die Szenerie, im Hintergrund ist ein Bauerngut erkennbar. Ein Besucher – oder ist es der Bauer selbst? – ist auf dem Weg zum Anwesen. Er tritt in dieser opulenten Landschaft kaum in Erscheinung und scheint nur dank einer zufälligen Eingebung des Malers in die Komposition gekommen zu sein.
Der Betrachter spürt die sommerliche Wärme der idyllischen Szenerie. Bei Zünd lauerten keine Gefahren, obschon damals ganze Landstriche verarmt waren und die religiös-politischen Spannungen zwischen Erneuerern und Konservativen gross waren. Nichts davon bei Zünd: Seine Gemälde entstanden ausschliesslich im Atelier, basierten auf Skizzen, Zeichnungen und Ölstudien, die er vor allem in den Sommermonaten in den Landschaften fertigte, um sie später umzusetzen. Die Entwürfe dienten ihm als Mittel zum Zweck, aber Zeitgenossen erkannten schon zu seinen Lebzeiten ihren gestalterischen Wert.
Die Zeichen stehen auf Veränderung
Ganz anders das Bild des Fotografen Tobias Madörin. Man sieht zwar das Bauerngut noch immer, aber der Baumbestand ist verschwunden. Die Zeichen stehen auf Veränderung. Die Schellenmatt gehört zur Luzerner Vorortsgemeinde Kriens und ist gleich neben der viel befahrenen Durchgangsstrasse gelegen.
Tobias Madörin machte sich einen Namen als Fotograf von Stadtlandschaften: «Er blickt stets auf einen Prozess, in dem Produktion, Veränderung und Verarbeitung ihre Spuren hinterlassen haben», schrieb die «Wochenzeitung» über seine Arbeiten. Die «Zeit» ortete im Hinblick auf seine Stadtbilder gar «Schluchten der Menschheit». In der Schellenmatt von Kriens ist allerdings noch nichts von einer «Schlucht» zu sehen, man ahnt aber, dass sie dereinst kommen könnte.
Madörin fotografierte nicht alle seine Bilder aus exakt der gleichen Perspektive, wie Zünd sie malte, betont Kuratorin und Museumsdirektorin Fanni Fetzer im Gespräch. Im Einzelfall musste er eine vergleichbare Sichtweise wählen, etwa, weil an der Stelle von Zünds Standpunkt heute das Fussballstadion des FC Kriens steht.
Die Genauigkeit des Blicks
Die Ausstellung soll «keinesfalls didaktisch» wirken, aber sie soll die «Langsamkeit und die Detailtreue» der beiden Künstler illustrieren, sagt Fetzer. Um dem Betrachter diese Sichtweise zu erleichtern, sind die Fotografien deutlich grösser als die kleinteiligen Gemälde.
Der Maler Robert Zünd ist heute ausserhalb der Zentralschweiz weniger bekannt. Der Kunsthistoriker Franz Zelger schildert ihn als einen «Einzelgänger, sowohl als Mensch wie als Künstler». Wiewohl Zünd die Pariser Kunstszene kannte, nahm er neue Entwicklungen wie den Impressionismus wenig wahr: «Bei ihm finden sich nur direkte Beziehungen zu zeitgenössischen Künstlern oder Meistern früherer Epochen.» Dennoch habe er «durch das intensive Studium der Natur» sein eigenes Talent entwickelt und wurde «zu einem Maler von ausgeprägter Individualität».
Zünd war tief religiös und scheint seine Erfüllung in der Spiritualität gefunden zu haben. Der Künstler kam aus einer gutbürgerlichen Luzerner Familie und zog für seine Ausbildung über Genf nach Paris. In jener Zeit lernte er den etwa gleichaltrigen «Gotthardpost»-Maler Rudolf Koller kennen; zu diesem scheint Zünd ein vertrautes Verhältnis gehabt zu haben.
Und was verbindet die beiden Künstler Madörin und Zünd? «Die Genauigkeit des Blicks», führt der Ausstellungstext an. So ist «die Bildkompetenz das eigentliche Thema» dieser Schau. Die Gegenüberstellung von Zünds Gemälden mit Madörins Fotografien verdeutlicht die Veränderungen der Landschaft und der Zentralschweizer Lebensumstände.
Bellevue
Bis So, 15.10.
Kunstmuseum Luzern