Es ist monumental und wirkt doch irgendwie schwerelos: El Anatsuis Installation «In the World but Don’t Know the World». Zehn auf sechs Meter misst dieser Wandteppich, für den der ghanaische Künstler Schraubverschlüsse von Schnaps-flaschen mit Draht verwob. Ein schillerndes, fliessendes, wellenwerfendes Etwas. 2020 war das Werk in der Anatsui-Retrospektive «Triumphant Scale» im Kunstmuseum Bern zu sehen. Seit Dezember 2020 ist das Museum nun auch Besitzer von «In the World …». Jedoch nicht der alleinige.
Von der Schwierigkeit, Werke zu erwerben
Das Kunstmuseum Bern erwarb die Installation zusammen mit dem Stedelijk Museum in Amsterdam. Dieses Vorgehen sei notwendig gewesen, so steht es in der Pressemitteilung, weil die steigenden Kunstmarkt-Preise es öffentlichen Institutionen immer schwieriger machten, neue Werke zu erwerben. Wie viel es kostete, wurde freilich nicht bekannt gegeben. Ähnliche Werke von El Anatsui erzielten in den letzten Jahren an Auktionen jeweils Preise von 900 000 bis 1,5 Millionen Schweizer Franken. Wie es oft üblich ist, kam der Vorbesitzer von «In the World …», der Schweizer Sammler Ueli Sigg, den beiden Häusern beim Preis offenbar entgegen.
Dennoch: Wer sich Medienberichte von Auktionsverkäufen aus den vergangenen Jahren in Erinnerung ruft, erahnt, welche Schwierigkeiten der heutige Kunstmarkt öffentlichen Kunstmuseen bereitet. «Junger Mann mit Medaillon» von Sandro Botticelli: 92 Millionen US-Dollar. «Chariot» von Alberto Giacometti: 101 Millionen US-Dollar. «Salvator Mundi» von Leonardo da Vinci: 450 Millionen britische Pfund. In den Augen von Fanni Fetzer, Direktorin des Kunstmuseums Luzern und Präsidentin der Vereinigung Schweizer Kunstmuseen, führen solche Zahlen vor allem zu einem verzerrten Bild, was die Arbeit von Künstlern und Museen anbelangt. «Das Kunstmuseum Luzern hat pro Jahr 50 000 Franken aus dem regulären Budget für Ankäufe zur Verfügung. Mit diesem Budget sollte ich aber vier verschiedene Sammlungs-Kapitel vorantreiben», sagt Fetzer. Zugespitzt habe sich die Situation in den letzten Jahren. Erstens habe das Kunstmuseum Luzern seit 2012 mehrere Sparrunden der öffentlichen Hand zu spüren bekommen. Zweitens habe sich in dieser Zeit auch die Situation im internationalen Kunstmarkt verändert. «Noch in den 1990ern war man neugierig und kaufte Werke von jungen, aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern. Heute will man gewinnbringend in zeitgenössische Kunst investieren, also setzt man auf etablierte Namen.»
«Der Kunstmarkt ist sehr intransparent»
Kurzum: Zeitgenössische Kunst ist zum Spekulationsobjekt geworden. Das weiss kaum jemand besser als die Juristin Monika Roth. Die Kunstliebhaberin und Spezialistin für Finanzmarktrecht veröffentlichte kürzlich das Buch «Kunst und Geld – Geld und Kunst». «Der internationale Kunstmarkt wird heute von ein paar grossen Auktionshäusern dominiert. Von Galerien, die eine beschränkte Zahl von Künstlern pushen. Und von einer Käuferschaft, die oft weniger an der Kunst und mehr am Statussymbol interessiert ist», so Roth. Das Resultat dieser Kombination zeigt sie in ihrem Buch eindrücklich auf. Um Geldwäscherei und Zollfreilager geht es da; um private Sammler, die in Gremien öffentlicher Museen sitzen; und um Kunstwerke, deren Wert durch Museumsausstellungen gesteigert werden. «Der Kunstmarkt ist sehr intransparent», sagt die Juristin. «Und was ich daran so verrückt finde: Es ändert sich einfach nichts.»
Ein neugieriger Blick ist unbezahlbar
Tatsächlich finden sich in den letzten 40 Jahren genügend Skandale, die Roths Befund untermauern. Vom Verkauf eines Van-Gogh-Gemäldes 1987, für den das Auktionshaus Sotheby’s selber dem Käufer die Hälfte der 53 Millionen US-Dollar vorschoss. Über den britischen Künstler Damien Hirst, der 2007 seinen Diamantenschädel klammheimlich selber kaufte, um den Anschein zu erwecken, das Werk habe für 50 Millionen Pfund den Besitzer gewechselt. Bis zur Versteigerung von «Salvator Mundi» 2017. Ist das Gemälde wirklich von Leonardo da Vinci? Durfte das Bild so kurz vor der Auktion noch in der National Gallery London ausgestellt werden? An sich regeln die ethischen Richtlinien des Internationalen Museumsrats IOCM, wie sich Kunstmuseen hinsichtlich Leihgaben, An- und Verkäufen zu verhalten haben. Dennoch müsse man als Museumsdirektorin wachsam sein, sagt Fanni Fetzer. Das Kunstmuseum Luzern etwa gehe bei Dauerleihgaben nur noch Verträge über zehn und mehr Jahre ein. So wolle man verhindern, dass private Sammler die öffentliche Institution zur Lagerung oder zur Wertsteigerung missbrauchen können. Fetzer: «Man darf sich als Museum nicht vom Kunstmarkt einspannen lassen.»
Was künftige Ankäufe betrifft, werden Kunstmuseen vermehrt nach kreativen Lösungen suchen müssen. Eine Möglichkeit sieht Fanni Fetzer in der Beziehungspflege. Man müsse mit Sammlern und Künstlerinnen schon zu Lebzeiten über deren Nachlass sprechen, um sich ein Werk zu sichern. Manchmal biete sich auch an, dass sich ein Museum an der Produktion eines Werkes beteilige – und dieses in der Folge dem Künstler zu einem symbolischen Preis abkaufen könne. Schliesslich zeigt sich die Museumsdirektorin aber auch kritisch: «Vielleicht müssen Kunstmuseen weniger auf grosse Namen und mehr auf Künstler setzen, die in der Mitte ihrer Karriere stehen.»
Der Kunstmarkt der letzten 40 Jahre hat gezeigt: Selbst während Krisen kühlt sich das Geschäft mit zeitgenössischer Kunst kaum je für länger ab. Aber wenn die Preise hoch sind, ist ein neugieriger Blick unbezahlbar.
Kunst und Geld – Geld und Kunst
Monika Roth
360 Seiten
(Stämpfli 2020)