Sucht man im Internet nach bekannten Graffiti- oder StreetArt-Künstlern, stolpert man immer über dieselben Namen: Invader, Blek Le Rat und natürlich Banksy. Frauen findet man mit etwas Glück unter ferner liefen – auch Subkulturen sind offenbar nicht vor der männlichen Dominanz in der Gesellschaft gefeit. Doch es tut sich etwas. Ein New Yorker Oral-History-Projekt würdigt die Rolle von Künstlerinnen wie Rocky 184 in den 1970ern. Und in München gibt es seit 2018 das weibliche Festival «Hands Off the Wall».

Einen wichtigen Beitrag in Sachen Sichtbarkeit leistet das Buch «Street Art von Frauen», das jetzt beim Zürcher MidasVerlag auf Deutsch erschienen ist. Der spanische Street-ArtEnthusiast Diego López stellt darin 50 Künstlerinnen von São Paulo bis Warschau vor. Auf zahlreichen ganz- und doppelseitigen Fotos kommen die Arbeiten dieser Frauen wunderbar zur Geltung: die PopArt von Emily Eldridge, der Hyperrealismus von Judith de Leeuw, die poetischen Collagen von Miss.Printed und die verspielten Plakate von Jimzina Ganash. Ein Bildband, der Graffiti-Fans und Freunden der Malerei gleichermassen Freude bereiten dürfte.

Den öffentlichen Raum für Frauen zurückerobern

Die Bilder werden von Kurzporträts und einem Interview mit der Fotografin und UrbanArt-Förderin Martha Cooper ergänzt. Das Gespräch ist leider etwas blutleer. Umso spannender sind dafür die Kurztexte zu den Künstlerinnen. Sie vermitteln nicht nur ein Bild über die Hindernisse, mit denen sich diese Frauen in der urbanen Kunstszene konfrontiert sehen.

Sie beleuchten auch ein künstlerisches Selbstverständnis, das sich seit den Anfängen von Graffiti und Street-Art stark gewandelt hat. Viele der Frauen haben Abschlüsse von Kunstakademien, verbinden ihr Schaffen im städtischen Raum mit Karrieren als Illustratorinnen und bemalen ganz selbstverständlich «legale Wände». Auffallend ist, dass es den Künstlerinnen nicht zwingend um die eigene Präsenz geht, sondern um den Inhalt ihrer Wandbilder. Die Brasilianerin Camilla Siren etwa möchte den öffentlichen Raum in ihrer Heimat für Frauen zurückerobern.

Ähnlich klingt es bei der Italienerin Alice Pasquini: «Ich will eine echte Vision von Frauen präsentieren, ohne all die Stereotype.» Andere möchten einfach zu bunteren Städten beitragen, Debatten anregen, den Menschen Freude bereiten. Ihre Arbeiten mögen vor allem durch Fröhlichkeit und Poetik auffallen. Doch wehe dem, der ihr politisches Potenzial unterschätzt.

Buch
Diego López
Street Art von Frauen – 50 Rebellinnen der Szene
256 Seiten
(Midas 2023)