Kunstband: Die mutige Malerin
Die Zürcher Malerin Ottilie W. Roederstein ist eine Ausnahmeerscheinung in der Schweizer Kunstgeschichte. Die Künstlerin scherte sich nicht um Konventionen.
Inhalt
Kulturtipp 01/2022
Rolf Hürzeler
Die porträtierte Dame aus gutem Haus heisst Elisabeth Winterhalter. Sie kam 1884 aus München nach Zürich, um Medizin zu studieren. Hier lernte sie die Künstlerin kennen, die dieses Bild malte – Ottilie W. Roederstein. Die beiden Frauen verliebten sich ineinander und wurden Lebenspartnerinnen. Sie wohnten zuerst in Zürich und zogen später nach Frankfurt um.
Ein neuer Band in der kleinen Reihe des Wienand-Verlags erinnert an diese Ver...
Die porträtierte Dame aus gutem Haus heisst Elisabeth Winterhalter. Sie kam 1884 aus München nach Zürich, um Medizin zu studieren. Hier lernte sie die Künstlerin kennen, die dieses Bild malte – Ottilie W. Roederstein. Die beiden Frauen verliebten sich ineinander und wurden Lebenspartnerinnen. Sie wohnten zuerst in Zürich und zogen später nach Frankfurt um.
Ein neuer Band in der kleinen Reihe des Wienand-Verlags erinnert an diese Verbindung. Die Kunsthistorike-rin Nicole Hartje-Grave stellt Ottilie W. Roederstein (1859–1937) als eine selbstbewusste Frau vor, die sich um keine Konventionen ihrer Zeit kümmerte und sich in einer Männerdomäne durchsetzte. Sie war von sich selbst und ihrer Begabung als Künstlerin überzeugt, suchte eine Existenz jenseits der bürgerlichen Normen. Das Buch liest sich wie ein Nachklang auf die Ausstellung im Zürcher Kunsthaus im letzten Winter.
Ausbildung zur Porträtistin
Roederstein wuchs als Tochter deutscher Eltern in Zürich-Enge auf. Gegen deren Wunsch setzte sie ihre Ausbildung als Porträtistin in Berlin durch, die sie später in Paris fortführte. Sie arbeitete laut ihrer Biografin gezielt für den Kunstmarkt, um sich mit Porträts, später auch mit religiösen Bildern, ihren Lebensunterhalt als Malerin zu verdienen. Dies zeigt sich vor allem zu Beginn ihrer Karriere, als sie sich für «eine dunkeltonige Farbpalette und einen repräsentativen Porträttypus» entscheidet: «Um 1910 gelangt sie zu ihrer eigenen Handschrift, einem sachlich-nüchternen Stil mit Betonung der Konturen und einer klaren Farbigkeit.» Mit diesem Stil hatte sie eine künstlerische Identität gefunden, die ihr einen Wiedererkennungswert garantierte.
Die Ausstrahlung der porträtierten Ärztin Winterhalter ist warmherzig. Man glaubt zu spüren, dass die Künstlerin Roederstein dem Modell eine gewisse Zuneigung entgegenbringt. Sich selbst stellte die Malerin auf ihren Porträts jedoch stets streng dar. Mit einer Distanz zum Betrachter, die signalisiert: Tritt mir nicht zu nahe.
Buch
Nicole Hartje-Grave
Ottilie W. Roederstein
99 Seiten
(Wienand 2021)