«Dieser Brief soll uneingeschrieben kommen. Eingeschrieben in das Seelenpostbuch nur meine herzlichsten Grüsse u. besten Wünsche.» Diese Worte schrieb der Schweizer Künstler Otto Meyer-Amden im Oktober 1916 an seinen Kollegen Oskar Schlemmer. Das war in den Kriegsjahren, unter denen Schlemmer als Soldat fürchterlich litt, während Meyer sich in der sicheren Schweiz lediglich über materielle Not beklagen musste. Mit dem «Seelenpostbuch» wollte Meyer seinem Freund sagen, wie wichtig ihm die Korrespondenz ist.
Mit viel kunsthistorischem Wissen editiert
Dieser Briefwechsel zwischen Oskar Schlemmer (1888–1943) und Otto Meyer-Amden (1885–1933) ist nun in drei Bänden erschienen. Die beiden Herausgeberinnen Magdalena Droste und Elisa Tamaschke haben den schriftlichen Austausch zwischen den beiden Künstlern von 1909 bis zu Meyers Tod mit viel kunsthistorischem Wissen akribisch editiert. Sie haben die Briefe kapitelweise mit Erläuterungen sowie zahlreichen Anmerkungen versehen, denn die Schreiben erschliessen sich der gegenwärtigen Leserschaft nicht mehr ohne Weiteres – zu viele Bezüge sind der Vergessenheit anheimgefallen. Andere wiederum sind in die Kunstgeschichte eingegangen. Dazu gehören Briefpassagen über wegweisende Avantgardisten wie Paul Klee, Johannes Itten oder Willi Baumeister.
Zwei gegensätzliche Persönlichkeiten
Schlemmer und Meyer lernten einander im Herbst 1907 an der Stuttgarter Königlichen Akademie der bildenden Künste kennen, wo sie ihre Ausbildung zu Malern absolvierten. Sie fühlten sich in ihrem gestalterischen Enthusiasmus zwar geistesverwandt, hätten aber kaum gegensätzlicher sein können. Der knorrige Schweizer Otto Meyer-Amden lebte zurückgezogen in seiner Klause oberhalb des Walensees. Er war eine widersprüchliche Persönlichkeit, suchte die Einsamkeit und die gesellschaftliche Anerkennung gleichermassen.
Oskar Schlemmer dagegen stand mitten in den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen Deutschlands in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts und lehrte am Bauhaus in Weimar und Dessau. Vor allem aber war er neben der Malerei dem Tanz und dem Theater zugetan – Disziplinen, die Meyer fremd waren.
Das ungleiche Paar hielt die aufwendige Korrespondenz während all der Jahre durch, auch wenn sie einander nach Stuttgart nur noch selten persönlich trafen. 550 Schriftstücke sind erhalten geblieben.
Grosse Nähe trotz formaler Distanz
Ihre grosse Gemeinsamkeit war die «KUNST», von Schlemmer in einem Brief versal geschrieben. Bei beiden gründete die Begeisterung in einem idealistischen Kunstverständnis des 19. Jahrhunderts. Diesem blieb der konservativ-religiöse Meyer-Amden stets verpflichtet, während Schlemmer, wenn auch zweifelnd, die Moderne ertastete und dafür bei seinem Freund den nötigen Halt suchte. Meyer, wiewohl nur drei Jahre älter, erscheint mitunter als väterlicher Ratgeber Schlemmers, den immer wieder Selbstzweifel plagten. So schickte dieser im Sommer 1919 seinem Freund Fotografien einer Reihe von Werken zur Beurteilung. Das Urteil aus Amden zeugt von Wohlwollen und Misstrauen in einem: «Mit den Mitteln, die Sie anwenden, entsteht (…) neuzeitliche eigenartige, die vergangene, konventionelle verlassende Stimmung. Aber diese Mittel sind u. der Mut dazu, bereits seit längerer Zeit auch anderen Orts in Übung u. Probe.» Ein anderer hätte vielleicht banal von «neumodischem Nachäffen» geschrieben. Die beiden Briefschreiber hielten mit der Höflichkeitsform in ihren Briefen stets eine formale Distanz, selbst wenn sie über Intimes schrieben.
So musste Schlemmer seine Heiratsabsichten mit Helena Tutein gegenüber dem schwulen Meyer verteidigen, der es mit den Frauen gar nicht konnte. Er argwöhnte in einem Brief an Schlemmer, dass die Frauen ihre Männer vor ihm schützen wollten, dass sie «… mir gerne feindlich u. in gewisser Weise eifersüchtig» seien. Was Tutein angeht, traf dies bestimmt nicht zu. Sie erkannte die Bedeutung dieses Schriftwechsels und wollte ihn als Erste nach dem Tod ihres Mannes herausgeben.
Auch politisch auf unterschiedlichen Seiten
Schlemmer hatte offenkundig grosses Vertrauen in die Diskretion Meyers, wenn er beispielsweise von seinen sexuellen Nöten schrieb: «Ich liebe Karl Kraus, da er die Onanie verherrlicht u. frage Sie, welcher Geschlechtsart Hamlet ist, der keine Lust am Weibe hat, am Manne auch nicht (wiewohl Ihr dies mit eurem Lächeln zu bezweifeln scheint).»
Beide litten unter den Unbilden ihrer Zeit, beide Künstler waren im Grunde unpolitisch, was in dieser Epoche beispielloser ideologischer Konfrontation fast unhaltbar war. Ihre unterschwelligen Haltungen unterschieden sich indes markant: Das hätte zu bösem Zwist führen können, unterblieb jedoch. Meyer war stets von der deutschen Bündischen Jugend fasziniert. Er sah Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg als Opfer der britisch-französischen Macht-politik. In den frühen 30er-Jahren fühlte er sich dem Nationalsozialismus verbunden, verstarb jedoch zwei Wochen vor Hitlers Amtsübernahme als Reichskanzler Ende Januar 1933.
Schlemmer war dagegen begeistert vom Ende des deutschen Kaiserreichs, sympathisierte sogar eine Weile mit dem kommunistischen Spartakusbund. Er erkannte die Nazis früh als eine Gefahr, zumal sie bereits im Oktober 1930 sein Wandbild in Weimar überstreichen liessen: «Wird man sich, wenn die Nazis regieren, in die böhmischen Wälder zurückziehen müssen oder direcktement in den nächsten Krieg?» Politik und Kunst waren für Schlemmer stets unvereinbare Gegensätze.
Die Lektüre dieses Briefwechsels ist streckenweise anspruchsvoll, umso verdienstvoller ist die editorische Arbeit der Herausgeberinnen. Sie machen die Korrespondenz zu einem historischen Zeitdokument, das weit über die persönliche Befindlichkeit zweier Künstler hinausreicht. Es vermittelt Aspekte der kunstgeschichtlichen Entwicklungen in ihrem dramatischen politischen Kontext.