Der junge Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, erkannte das Wesen des Romantischen exakt: «Dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten …» verleihen. Das war der Anspruch einer Kunstbewegung, die Ende des 18. Jahrhunderts begann und sich bis weit ins nächste hineinzog. Sie lässt sich als Gegenentwurf der Modernität erklären: Die Rationalität hatte die Deutungshoheit der Kirche abgelöst, die Industrialisierung war greifbar, und demokratische Staatsauffassungen lösten traditionelle Hierarchien ab. Das Zürcher Kunsthaus zeigt nun eine Auswahl von Werken, die für die Romantik in der Schweiz stehen. Die Schau will «einen tieferen Einblick in das Wech-selverhältnis von ortsspezifischer Prägung und internationaler Ver-netzung» vermitteln, wie es im Ausstellungstext heisst. So bot sich die Alpenwelt einheimischen wie ausländischen Künstlern als Motiv an, um «dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen» zu geben.
Ausstellung
Im Herzen wild. Die Romantik in der Schweiz
Fr, 13.11.– So, 14.2. Kunsthaus Zürich
Ford Madox Brown (1821–1893)
«Manfred auf der Jungfrau», 1842
Dieses Ölgemälde nimmt Bezug auf das dramatische Gedicht «Manfred» von Lord Byron. Es berichtet von einem edlen, aber lebensmüden Aristokraten, der sich im Berner Oberland von der Jungfrau stürzen wollte. Doch der Gemsjäger im Hintergrund vermag ihn von seinem Vorhaben abzu-bringen. Manfreds Gesicht zeugt von der Verzweiflung, während der Bergler im Hintergrund wie ein retten-der Engel erscheint. Der sozial engagierte Präraffaelit Ford Madox Brown litt unter Depressionen, besonders nach dem Verlust seines zweiten Sohnes.
William Turner (1775–1851)
«Am Vierwaldstättersee bei Flüelen», 1841
Im Jahr 1802 reiste der junge William Turner erstmals durch die Schweiz. Das Licht und die Landschaft packten ihn. Er hielt seine Eindrücke mit Skizzen fest, die ihm zurück in England als Vorlagen zu seinen Gemälden dienten. Er begründete damit den Ruf der Schweiz als Sehn-suchtsland früher Touristen mit. Gleichzeitig machte er sich einen Namen als Vermittler spektakulärer Naturszenerien, die den Zeitgeist trafen: Sie dienten als Gegenentwurf der weit fortgeschrittenen Industrialisierung, indem sie dem Betrachter den Schauder einer unge-bändigten Natur vermittelten.
Franz Niklaus König (1765–1832)
«Tellskapelle am Vierwaldstättersee», 1810
Die Tellskapelle gehörte im 19. Jahrhundert zum Freiheitsmythos eines Bundesstaates, den es in der heutigen Form noch nicht gab. Für den Berner Genremaler Franz Niklaus König symbolisierte das Gotteshaus vielmehr den Unabhängigkeitswillen der hiesigen Bevölkerung. Denn König hatte als Artillerie-Hauptmann 1798 gegen die Franzosen gekämpft. Er erkannte auch das kommerzielle Potenzial der Malerei und reiste mit dekorativ gestalteten Lichtbildern durch das Land, um Geld von den Betrachtern zu verlangen.
Louis Léopold Robert (1794–1835)
«Auf der Wacht», 1821
Der aus dem Neuenburger Jura stammende Robert lebte in Paris und Venedig. Er setzte den Unbilden seiner Zeit mit den Napoleonischen Kriegen und der folgenden Restauration aufwühlende Szenen wie diese entgegen. Eine junge Frau bewacht ihren schlafenden Mann, einen Offizier, während seiner verdienten Ruhe vor der nächsten Schlacht, die vielleicht seine letzte sein könnte. Robert litt unter Schwermut und nahm sich das Leben, als er sich in eine seiner Kunstschülerinnen, eine Nichte von Napoleon Bonaparte, unglücklich verliebt hatte.
Johann Jakob Ulrich (1798–1877)
«Brennendes Dampfschiff auf stürmischer See», 1850–1853
Der Zürcher Maler und Kunstlehrer Johann Jakob Ulrich illustrierte mit diesem Gemälde die Verletzlichkeit der modernen Technologie. Das Dampfschiff galt zu seiner Zeit als Inbegriff des technischen Fortschritts, der jedoch dem Menschen offenkundig fast dämonische Gefahren bescherte. Sein Werk belegt, wie hoffnungslos der Mensch den Unbilden der Natur ausgeliefert ist; im Gegensatz etwa zum «Jungfrau»-Bild von Ford Madox Brown, wo sich die Natur bezwingen lässt.