Und plötzlich ist es ruhig. Völlig ruhig und doch irgendwie sirrend, wie es sich nur an einem Kraftort anfühlt. Der Wind ist weg, die Vögel schweigen, die Mauer des romanischen Klosters Schönthal vibriert im Sonnenlicht. Seit 1145 steht es hier, zwischen dem basellandschaftlichen Dorf Langenbruck am Hauensteinpass und dem trutzigen Jurafelsen namens Ankeballe. Hier also soll er zur Ruhe kommen, der «Eilige Geist», den Gerda Steiner (56) und Jörg Lenzlinger (59) mit ihrer neuen Kunstaktion auf die Reise schicken.
An der Klosterfassade sind ein Lamm und ein Löwe zu entdecken. Wo aber ist der «Eilige Geist»? «Der steckt in dir drin!», sagt Gerda Steiner und lacht. «Und hier findest du Ruhe.»
Das Duo ist rund um den Erdball unterwegs
Sie muss es wissen. Gemeinsam mit Partner Jörg Lenzlinger lebt Steiner seit 14 Jahren in Langenbruck. «Hierher kamen wir, um in Ruhe arbeiten zu können», sagen die beiden. Seit 1997, als sich die Luzernerin und der Zürcher kennenlernten, haben sie die Welt bereist, um zu lernen und zu arbeiten.
Als Künstlerpaar haben sie der Expo.02 die «Heimatmaschine» beschert, die Kirche San Staë in Venedig mit dem «Fallenden Garten» geschmückt, im Düsseldorfer Kunstpalast das «Vegetative Nervensystem» installiert. Für weitere Aktionen wurden sie nach Japan und Australien, Brasilien und Russland eingeladen. Steiner & Lenzlinger arbeiten an Schnittstellen zwischen Natur und Kultur, Tradition und Moderne und verwenden für ihre Installationen und Interventionen Materialien, die sie am Ort der Ausstellungen finden.
Berühmt geworden sind sie wegen der poetischen, teilweise auch gesellschaftskritischen Verspieltheit ihrer Aktionen – und wegen ihres hintergründigen Humors. Im Skulpturenpark des Klosters Schönthal steht seit 2011 ihre Mixed-Media-Installation «Eldorado», die auf ironisch-morbide Art der gejagten Wildschweine gedenkt. Dieses «Ehrenmal» bekommt diesen Sommer Besuch. Auf seiner Reise vom hektischen Verkehrsknotenpunkt Olten ins verwunschen schöne Juratal passiert der «Eilige Geist» zahlreiche Andachtsstationen.
Auf der Wanderung mit Jörg Lenzlinger sind Stationen für Vögel, Mäuse und Bäume zu entdecken, aber auch für die Harmonie, den Frieden oder die Vielfalt. Plötzlich lockt er lächelnd in einen dunklen Stollen. «Hier können sich Autofahrer für all die überrollten Feuersalamander entschuldigen.» Die Stationen zwischen Olten, Basel und dem Schönthal orientierten sich an den 14 heiligen Nothelfern, «nur denken wir nicht nur an Menschen, sondern auch an die Natur.»
Zu Fuss die Stille finden
Weshalb aber sollen Kunstinteressierte zu Pilgern werden? «Wandern wirkt entschleunigend», sagt Lenzlinger. «Es hilft, zur Besinnung zu kommen, sich inspirieren zu lassen.» Eine buchstäblich spirituelle Haltung, die den Bogen schlägt zum Kloster, wo der «Eilige Geist» zur Ruhe kommt.
«Um diese Stille auch als Besucher zu finden, wäre es schön, die Ausstellung zu Fuss zu erreichen», betont Gerda Steiner und öffnet die Klostertore zum Herzstück der ganzen Kunstaktion. Sofort wird klar, dass die Hallenkapelle in diesem Jahr keine Ausstellung im herkömmlichen Sinn zeigt. «Als wir von den Kuratoren angefragt wurden, die Ausstellung zu übernehmen, sagten wir zu mit dem Nachsatz, dass wir aber alles etwas anders angehen würden», erinnert sich Lenzlinger.
Das karge Innere der Kapelle offenbart Installationen zum Thema Brot. Es gibt Altare für Salz, Wasser, Eier und als Hauptaltar eine Auslage verschiedener Brote. Der «Eilige Geist» kann also auch zu Tische sitzen? Durchaus, doch zuvor soll er zur Besinnung kommen, denn die Brote haben symbolischen Wert. «Anlässlich einer Ausstellung in Marseille haben wir die kulturelle Vielfalt von Brot entdeckt», erklärt Lenzlinger. «In der Folge haben wir Brote aus aller Welt gesammelt», ergänzt Steiner. «Zuletzt hatten wir 1000 Stück.»
Teigprozession und Brotbacktage
Ein kleiner Teil dieser Brotsammlung ist nun im Schönthal zu sehen und soll dem «Eiligen Geist» bei der Einkehr helfen. «Brot ist wichtig für die Identität jedes Menschen. Brot symbolisiert aber auch den achtsamen Umgang mit der Natur, den Kreislauf des Lebens sowie Landwirtschaft, Brauchtum, Politik», sagt Lenzlinger. «Stell dir vor, du bist ein Teig», sagt er dann und lädt den Besucher hinein in den Pilgerofen.
Weitere Öfen finden sich in der Kapelle und im Innenhof. «Wer den Weg auf sich genommen hat, kann hier auch sein Brot backen.» Während der ganzen Ausstellungsdauer finden Backtage statt – erstmals am Eröffnungsfest mit Teigprozession. Diese startet beim Dorfplatz Langenbruck und führt über die Andachtsstationen ins Schönthal. Mit von der Partie sind Jodelchor und Turnverein, Künstlerinnen und Vorleser. Seit über einem Jahr planen und arbeiten Steiner & Lenzlinger am «Eiligen Geist», ihrer bislang wohl aufwendigsten Aktion.
Gut 150 Leute sind daran beteiligt. Im Pilgerofen übrigens finden Besucher tatsächlich ihre Ruhe. «Und sie bekommen eine schöne Kruste», sagt Steiner und lacht.
Umfangreiche Kunstaktion
Als «Totalinstallation» bezeichnet das Künstlerpaar Steiner & Lenzlinger die Bespielung des Klosters Schönthal und seiner weiteren Umgebung. Keine Übertreibung angesichts des halbjährigen Programms ihrer Aktion «Der Eilige Geist kommt zur Ruhe». Die eigentliche Ausstellung umfasst nebst der Bespielung der Klosterkapelle Andachtsstationen auf verschiedenen Varianten von Pilgerwegen. Die Eröffnungsprozession wird begleitet von Musik vom örtlichen Jodelchor bis zur Avantgardemusikerin Erika Stucky. Bis November gibt es Backtage, Workshops, Referate, Konzerte und kulturelle Aktivitäten. Die gesamte Aktion wird in einem Buch dokumentiert.
Der Eilige Geist kommt zur Ruhe
So, 28.4.–So, 3.11.
Eröffnung und Teigprozession
Sa, 27.4., 12.00
Dorfplatz Langenbruck BL
www.eiligergeist.ch