Kunst - Landschaftsmalerei mit Pinsel und iPad
Der aktuelle Bildband «A Bigger Picture» stellt den englischen Künstler David Hockney als Landschaftsmaler vor: Eine naturverbundene Farbenflut, die den Betrachter in seiner Intensität fast erschlägt.
Inhalt
Kulturtipp 17/2012
Rolf Hürzeler
Eine typisch englische Heckenlandschaft: So grün, dass sie den Betrachter geradezu blendet. Dieses Bild dokumentiert liebliche Landschaft, aber auch kraftvolle Lebensfreude. «Die Strasse durch die Landschaft der Wolds» lautet der Titel des 1997 entstandenen Werks (siehe Bild rechts). Der englische Künstler David Hockney hat das pralle Bild paradoxerweise in jener Zeit gemalt, als er regelmässig seinen sterbenskranken Freund und Mäzen Jonathan Silver im Dorf Wet...
Eine typisch englische Heckenlandschaft: So grün, dass sie den Betrachter geradezu blendet. Dieses Bild dokumentiert liebliche Landschaft, aber auch kraftvolle Lebensfreude. «Die Strasse durch die Landschaft der Wolds» lautet der Titel des 1997 entstandenen Werks (siehe Bild rechts). Der englische Künstler David Hockney hat das pralle Bild paradoxerweise in jener Zeit gemalt, als er regelmässig seinen sterbenskranken Freund und Mäzen Jonathan Silver im Dorf Wetherby besuchte, just jenem Flecken übrigens, in dem David Hares gleichnamiger Kultthriller mit Vanessa Redgave in den 80ern spielte.
Das Bild von den Wolds ist dem neuen Band «A Bigger Picture» entnommen, der auch in Deutsch erschienen ist. Der Titel erinnert an Hockneys frühes Werk «A Bigger Splash», ein Bild seiner Swimmingpool-Serie aus den 60ern, mit dem er erstmals die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf sich zog.
Das Buch ist im Zusammenhang mit einer grossen Ausstellung über Hockneys Landschaftsmalerei erschienen. Die Schau der Londoner Royal Academy of Arts ist bis So, 30.9., im Guggenheim Museum von Bilbao zu sehen und ab Sa, 27.10., im Museum Ludwig in Köln.
Neue Techniken
«A Bigger Picture» dokumentiert auf 300 Seiten Hockneys gesamtes Werk – im Vergleich mit Künstlern wie William Turner und John Constable, die ihn faszinierten. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf Hockneys Landschaftsmalerei und den neuen Techniken, die er dafür einsetzte. So entdeckte der ältere Herr mit viel Lust am Innovativen die Reize des iPads, das zu einem seiner wichtigsten Arbeitsmittel wurde.
«Letztendlich kehrte Hockney in seine ursprüngliche und geistige Heimat zurück», schreibt der Kunstexperte und Kurator Marco Livingstone in seinem Beitrag über Hockneys Rückkehr nach Yorkshire aus dem kalifornischen Exil, wo er jahrzehntelang lebte. Diese Feststellung ist jedoch im besten Fall ungenau. Denn der 1937 geborene Hockney ist zwar tatsächlich in Yorkshire aufgewachsen, in der früheren Industriestadt Bradford, die schon damals als eine der hässlichsten Städte Englands galt und seither gar nichts unternommen hat, dies zu ändern. Wohl deshalb aber hat Hockney das abgelegene Küstendorf Bridlington in der gleichen Grafschaft als Domizil gewählt, ein buchstäblich malerisches Bijou.
Provokativ
Der junge Hockney war eines von fünf Kindern einer Buchhalterfamilie in Bradford. Seine Eltern erkannten sein künstlerisches Talent und schickten ihn ans Royal College of Art in London. In seinen frühen Jahren fühlte er sich vor allem von den expressionistischen Arbeiten Francis Bacons angezogen. Der im Grunde unpolitische Hockney kämpfte um seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer und kam dabei zu einem Einsatz als Krankenpfleger. Gleichzeitig provozierte er jedoch das Establishment vor allem mit einer homoerotischen Bildsprache. Dies in einer Zeit, als homosexuelle Beziehungen in Grossbritannien von Gesetzes wegen verfolgt wurden.
Seit den 60ern bereiste Hockney die halbe Welt und dokumentierte seine Stationen stets künstlerisch, sei es Ägypten, Spanien oder vor allem Kalifornien, wo er sich niederliess. Der US-Bundesstaat war für ihn zuerst einmal Anziehungspunkt eines hedonistischen, freiheitlichen Lebensstils ohne gesellschaftliche Zwänge. Hockney erkannte indes schnell, wie trügerisch dieses Ideal war: Seine damaligen Bilder, etwa «Nichols Canyon» (siehe Bild unten links), wirken wie die überzeichneten Kulissen eines schalen Lebens.
Als Senior in der ländlichen Idylle Yorkshires wandte sich Hockney wieder der Landschaftsmalerei zu, die ihn schon in ganz jungen Jahren beschäftigt hatte. Die hochgebildete englische Schriftstellerin Margaret Drabble, ursprünglich aus der gleichen Grafschaft, erinnert in einem lesenswerten Beitrag für «A Bigger Picture», wie wenig künstlerische Anerkennung der Landschaftsmalerei allerdings zukam. Drabble führt dazu ausgerechnet die Schirmherrin des Buchs an, die Royal Academy of Arts, und insbesondere einen ihrer Mitglieder, den Schweizer Johann Heinrich Füssli. Er schrieb zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der «niedersten Stufe langweiliger Sujets, nämlich der Landschaftsmalerei, die sich mit der getreuen Wiedergabe eines vorhandenen Ortes begnügt, einer Aneinanderreihung von Hügeln und Tälern Bäumen, Gebüsch und Gewässern (…) es handelt sich dabei um wenig mehr als eine Nachahmung des Gegebenen».
Bewusstseinswandel
Drabble belegt, wie sehr sich Füssli täuschte. Denn John Constable förderte damals als junger Student «einen tief greifenden Bewusstseinswandel, nachgerade eine Revolution in unserem Verhältnis zur Natur». Drabble sieht David Hockneys Landschaften in dieser Kunsttradition. Und tatsächlich hat man als Betrachter eines Bildes wie «Die Strasse durch die Landschaft der Wolds» den Eindruck, in diese sanften Hügel reinzuspringen und in die Farbendichte einzutauchen.
[Buch]
«David Hockney –
A Bigger Picture»
303 Seiten
(Hirmer 2012).
[/Buch]