Am 12. April 1893 ging es auf der Münchner Privatbühne «Universum» hoch zu und her. In einer Varietévorstellung hatte ein Mr. John Spleen seinen Auftritt und mimte das «sauciale Elend» in einem farbigen Kostüm mit Zylinderhut, verlöcherten Schuhen und einer Weinflasche in der Jackentasche. Diese Szene beschreibt der Kunsthistoriker Nico Kirchberger im neuen Bildband «Jugendstil skurril».
Der Maler Carl Strathmann (1866–1939) verkörperte Mr. Spleen und wird sich in dieser Rolle gefallen haben. Denn der Mann war ein gesellschaftlicher Aussenseiter. Seine Kunst eckte bei allen an: beim Bildungsbürgertum und bei seinen Kollegen in der lokalen Bohème. Sie spürten, dass Strathmann mit seinen Werken die damals angesagte Kunst karikierte.
Typisch dafür ist das Aquarell «Hexensabbat». Es nimmt die damalige Prüderie spielerisch auf die Schippe. Aber nicht nur; das Bild erinnert an einen erotischen Traum, eine Deutung, die der eben modisch gewordenen Psychologie entspräche. Wie so oft bleibt bei Strathmann die konkrete Aussage verschlüsselt.
Gemälde mit humorvollen Akzenten
Kunst ohne politischen Unterton interessierte Strathmann nicht. Er spielte vielmehr mit den gängigen Darstellungsformen. Nahm er den Pinsel zur Hand, gerieten ihm seine Werke zu Karikaturen, zumal er sich keiner Disziplin verpflichtet fühlte: «In seiner Hauptschaffensperiode um 1900 löste er die Grenzen zwischen Kunst, Kunstgewerbe und Karikatur weitgehend auf und versah seine symbolistischen Aquarelle und Gemälde mit vielfachen humorvollen Akzenten», schreibt Kunsthistoriker Kirchberger. Strathmann stand im Bann der damals in Westeuropa verbreiteten Arts & Crafts Bewegung – und machte sich gleichzeitig über sie lustig.
Strathmanns Leben liest sich wie eine typische deutsche Biografie im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Er wuchs in einem wohlhabenden Elternhaus in Leipzig auf und besuchte die traditionelle Kunsthochschule in Düsseldorf. Die in diesem Haus gepflegte Historienmalerei interessierte Strathmann nicht: «Dass man dort nichts lernen kann, er zu erahnen begann. Statt zu Pinsel und zu Kohl, griff er drob zu Alkohol», dichtete er. Der Mann war Maler, kein Lyriker.
Er flüchtete nach Weimar, um die Moderne kennenzulernen, und kam von dort nach München. Wie fast alle wichtigen Künstler seiner Generation machte er bei der Secessionsbewegung in Berlin und München mit. Dabei blieb er stets ein Aussenseiter: Seine Heimat waren das Atelier und das Weinhaus Kurtz bei der Marienkirche.
Nachlass im Münchner Stadtmuseum
Bis 1931 kannte Strathmann keine materiellen Sorgen. Dann aber verlor er infolge der Weltwirtschaftskrise wie viele andere alles. In den folgenden Jahren mussten er und seine Frau Elisabeth Franke untendurch; er konnte sich nicht einmal mehr ein Atelier leisten. Der Künstler geriet in Vergessenheit.
Was tragisch klingt, hatte auch sein Gutes. Strathmann geriet dadurch nicht in den Fokus der braunen Machthaber, die ihn ignorierten. Seine Bilder kamen in Depots, der Nachlass schliesslich ins Münchner Stadtmuseum, wo während der Bombenangriffe vieles zerstört wurde. Ebendort ist dem Künstler zurzeit eine Ausstellung gewidmet (bis 22.9.).
Buch
Jugendstil skurril. Carl Strathmann
Hg.: Nico Kirchberger
248 Seiten
(Wienand 2019)