kunst Beklemmende Szenerien auf Leinwand gebannt
Verstörende Frauenbilder der deutschen Malerin Justine Otto im Burgdorfer Franz Gertsch Museum: Ihre Gemälde irritieren den Betrachter zusehends – je genauer er hinschaut.
Inhalt
Kulturtipp 07/2013
Rolf Hürzeler
Leichtes Unbehagen, das stetig wächst. Eine Frau liegt entspannt über einem Stuhl; sie streckt das Bein lasziv von sich (siehe grosses Bild rechts). Man fragt sich, was genau mit der Person geschehen ist – oder wird ihr gleich etwas Fürchterliches zustossen? Und was hat es mit dem ausgestopften Bären auf sich? Die Szene wirkt wie gestellt. Und sie ist es auch.
Die 39-jährige deutsche Künstlerin Justine Otto inszeniert ihre figürlichen Bilder mit v...
Leichtes Unbehagen, das stetig wächst. Eine Frau liegt entspannt über einem Stuhl; sie streckt das Bein lasziv von sich (siehe grosses Bild rechts). Man fragt sich, was genau mit der Person geschehen ist – oder wird ihr gleich etwas Fürchterliches zustossen? Und was hat es mit dem ausgestopften Bären auf sich? Die Szene wirkt wie gestellt. Und sie ist es auch.
Die 39-jährige deutsche Künstlerin Justine Otto inszeniert ihre figürlichen Bilder mit vornehmlich weiblichen Modellen. Für «Halbpension» etwa baute sie eine Bühneninstallation in einer leer stehenden Hotelanlage. Sie hat das verfallene Gebäude im deutschen Harzgebiet entdeckt, mitten in der Republik. «Die Anlage erinnerte mich an Stephen Kings ‹Shining›», sagt Otto und spricht vom Psychothriller aus den 70ern, der jedem unter die Haut ging. Und etwas von dieser Stimmung ist in ihren Werken spürbar.
Mehrdeutigkeit
Gegen diese Kunst ist einzuwenden, dass sie nicht nach jedermanns Geschmack ist. Sie wird es bei manchen Kritikern schwer haben. Viele werden sich an einer plakativen Symbolik stören, von der sich Otto allerdings distanziert. Unumstritten ist diese Art Kunst jedenfalls nicht. Nicht alle möchten damit leben.
Etwa mit dieser Mehrdeutigkeit. So wirkt die liegende Frau auf dem Bild nur auf den ersten Blick anziehend, es geht etwas Unwirkliches von ihr aus, und man möchte ihr vielleicht gar nicht begegnen. Sie erscheint erotisch und gleichzeitig gefährlich. Otto skizzierte und fotografierte die Szene unzählige Mal mit einem Modell und setzte sie später in ihrem Atelier in ein Ölgemälde um.
Justine Otto ist eine gebürtige Polin. Mit acht Jahren kam sie nach Westdeutschland. Sie besuchte die «Städelschule», die Hochschule für bildende Künste in Frankfurt, und arbeitete während ihrer Ausbildung in Frankfurt als Bühnenbildnerin.Heute lebt sie in der Nähe von Hamburg.
Im Museum Franz Gertsch hat sie nun ihre erste Ausstellung in der Schweiz; ihr Mentor, der in Deutschland lebende Schweizer Kurator Jean-Christophe Ammann, vermittelte den Kontakt. Otto zeigt grossformatige und kleine Ölgemälde auf Leinwand, die in den letzten fünf Jahren
entstanden sind. Sie hatte in Deutschland schon zahlreiche Ausstellungen, unter anderem in der Kunsthalle Darmstadt.
Ihre Bilder reissen Geschichten an, ohne sie zu erzählen. Das bleibt dem Betrachter überlassen. Er kann sich in die Szenen hineindenken und sie weiterentwickeln. «Die Frauen sind abgründiger, man traut ihnen ja oft weniger zu», sagt Otto. Sie liebt das Zweideutige, das Unausgesprochene, das sie in ihren malerischen Choreografien antönt. Mentor Jean-Christophe Ammann sagt dazu: «In der Härte ihrer Bilder, in deren Unerbittlichkeit, schafft Justine Otto eine Realität, die weder überzogen noch pathetisch ist, sondern kalt den Nerv einer Gegenwart trifft.»
So zeigt das Gemälde «Zeit für Plan B» eine absurde Szene (kleines Bild links). Drei Frauen verfolgen ein unbekanntes Treiben in einer Art Terrarium. Sie scheinen mit einer elektronischen Installation zu hantieren. Man spürt eine Atmosphäre am Rande des Wahnsinns, als ob diese
Tätigkeit aus dem Ruder laufen könnte.