Die Orchestermusikerin, die ihr auf Musikkassetten gespeichertes Portfolio digitalisieren will, oder der Grafiker, der Fanzines druckt. Die Chancen stehen gut, dass der eine oder die andere irgendwann in einem der zahlreichen Kulturbüros landet.
Das erste entstand 1998 am Zürcher Helvetiaplatz. Filmemacher Micha Lewinsky, der an der Gründung beteiligt war, erinnert sich: «Beim Namen dachte ich keine Sekunde an ‹Bürokratie›. Im Gegenteil. Kulturbüros sind Orte der unkomplizierten Begegnung», sagt er heute. «Deshalb gab es von Anfang an eine super Kaffeemaschine und Abos vieler toller Zeitschriften. Die Kulturschaffenden sollten nicht nur eine Kamera mieten, obwohl das Teilen von Produktionsmitteln wichtig war und ist. 1998 waren wir dem Gedanken der ‹Sharing economy› weit voraus.»
2000 folgte das Kulturbüro Bern, 2006 Genf, 2008 Basel und 2012 St. Gallen. Die Vermietung von technischem Gerät war überall zentrales Standbein all dieser Büros und ist es bis heute. «Wenn ich für Audiotechnik bei Ausstellungen angefragt werde und es fehlt mal wieder Geld, ist es toll, im Kulturbüro gutes Material zu fairen Preisen mieten zu können», sagt Tontechniker Sebastian Stebler.
Regional besondere Angebote inklusive
Ermöglicht werden die Kulturbüros seit 1998 vom Migros Kulturprozent. «Sie zeigen, wie Kulturförderung funktioniert. Sie bieten niederschwellige Unterstützung, damit Projekte schnell und einfach mit preisgünstiger Infrastruktur umgesetzt werden können», sagt Hedy Graber, Leiterin Direktion Kultur und Soziales beim Migros-Genossenschafts-Bund. Nebst der Migros stützen sich die Kulturbüros auch auf Vereine, Städte und Kantone sowie Stiftungen und Lotteriefonds. Untereinander tauschen sie sich aus, agieren aber unabhängig und berücksichtigen lokale Bedürfnisse.
Von einem besonderen Angebot erzählt Andreas Lori vom Kulturbüro Bern. So macht hier immer wieder eine «Kulturcoiffeuse» halt: «Wenn sie da ist, lässt sich ein guter Teil des Berner Kulturprekariats neue Frisuren verpassen», lacht Lori. Aber auch eine Velowerkstatt gibt es, bei der ein Fachmann beim Flottmachen der Drahtesel hilft.
Ein Synthesizer in weniger als drei Stunden
Das Kulturbüro an der Kleinbasler Klybeckstrasse ist ein Fixpunkt im kreativwirtschaftlich-künstlerischen Treiben der Stadt. «Das ‹Do it yourself› steht nicht umsonst in riesigen Buchstaben auf unserem Tresen», erklärt der Basler Co-Leiter Florian Olloz. «Immer wieder meinen die Leute, hier bedient zu werden. Doch unser Motto heisst: ‹radikal selber machen›.» Wie weit «do it yourself» unter fachkundiger Anleitung führen kann, bewies der Basler Synthesizer-Löt-Kurs. Hier wurden an drei Abenden drei verschiedene Klangerzeuger gelötet. Auf die verwunderten Ausrufe der Teilnehmer angesichts der winzigen Bau-Teile reagierte Kursleiter Claude Winterberg gelassen: «Sicher kannst du das, kein Problem!» Und tatsächlich: Nach zwei Stunden tönen die ersten, nach zweieinhalb Stunden die letzten Synthesizer.
Diese Episode zeigt einen wichtigen Aspekt aller Kulturbüros. Hier wird Hilfe zur kulturellen Selbsthilfe geleistet. Hier wird befähigt, hier werden Projekte möglich. Nach dem Motto «Ich zeige dir, wie es geht, dann ist es keine Sache» gibt es Fotokurse, Workshops zu Computer-Spiele-Programmierung, zu Fördergesuchen oder Crowdfunding.
In St. Gallen gab es 2018 zwei Informationsabende zu «Sozialversicherungen/Steuern für selbständige Kulturschaffende». «Die Teilnehmer waren froh, weil wir diese Themen in gut verdaulichen Portionen vermittelten», sagt Judith Stokvis, Gründerin und Leiterin des Kulturbüros. Wegen des grossen Interesses finden beide Veranstaltungen auch dieses Jahr wieder statt.
Während alle Kulturbüros ein vergleichbares Grundangebot haben (Technik-Vermietung/PC-Arbeitsplätze/Druck), entwickeln sich regionale Spezialitäten. So kann man etwa in Genf ausrangierte USB-Sticks abgeben. Auf sie speichert die «Human Rights Foundation» E-Books, Filme oder Wikipedia-Einträge, die dann als «Flaschenpost» auf die Reise Richtung Nordkorea gehen. «Ich finde dieses ‹kulturelle Hacking› spannend, weil es Nordkorea-Hilfe mit Recycling verbindet», sagt Baptiste Lefebvre, der diesen Genfer Akzent gesetzt hat.
Im Gespräch mit verschiedenen Kulturbüro-Leuten zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Die «Kundschaft» lässt sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen. Ein Schwerpunkt liegt aber bei audiovisuellen Kulturschaffenden der Kategorie U-30, die Equipment brauchen. Einige angefragte Kulturbüros bemerken einen Rückgang der Drucker-Nutzung im «klassischen» Textdruck. Grosser Beliebtheit hingegen erfreuen sich die Geräte im Bereich hochwertiger, grossformatiger Foto- oder Plakatdruck.
Zukunft als Vermittlerin von Technik
Auf die Frage, wo er das Kulturbüro in zehn Jahren sieht, sagt Florian Olloz: «Ich denke, die Bedeutung der Kulturbüros als Vermittlerin von Technik wird zunehmen. Schon heute kommen jüngere Leute, die gewisse Kulturtechniken nie kennengelernt haben, genauso wie ältere, die an neue Techniken herangeführt werden wollen.» Eine andere «digitale» Herausforderung nennt Gian-Reto Gredig vom Zürcher Kulturbüro: «Die Definition des Begriffs der Kulturschaffenden müssen wir ständig neu hinterfragen. Wie können wir entscheiden, ob eine Fotografin beispielsweise, die ihre Bilder hauptsächlich auf Instagram veröffentlicht, Künstlerin oder kommerzielle Influencerin ist?»
Ob Vermittlung kultureller Techniken oder Begleitung der Kulturschaffenden in die digitale Zukunft: Die Kulturbüros sind bestens aufgestellt.
Die fünf Kulturbüros und ihre Angebote
BASEL
Mi, 5.6.: «Tec-Stammtisch» zum Thema Video
Mi, 12.6.: «Tec-Stammtisch» zum Thema Grafik
Demnächst: «Spiele programmieren mit der Unity Game Machine»
Zweite Jahreshälfte: Synthesizer-Lötkurs
BERN
Ticketaktionen: Kulturbüro-Kundinnen gehen günstig ins Konzert Theater Bern oder ins Progr.
GENF
Fr, 24.5.: Wordpress-Kurs
ST. GALLEN
Sa, 1.6.:
Videoschnitt-Kurs «Adobe Premiere CC»
ZÜRICH
Demnächst: Fotokurs
Weitere Infos unter: www.kulturbüro.ch