Kulturfestival wildwuchs «Im Kontakt fallen die Schranken»
Das Kulturfestival wildwuchs zeigt während einer guten Woche in Basel und Umgebung Theater, Tanz und Musik von und mit Behinderten.
Inhalt
Kulturtipp 11/2011
Claudine Gaibrois
Die sieben Clowns der belgischen Truppe Le Cirque Ouïlle zeigen Zaubertricks, das Theater RambaZamba aus Berlin präsentiert eine «Weiberrevue», die Tanzformationen Compagnie Drift (Zürich) und Cie BewegGrund (Bern) setzen sich tanzenderweise mit Schönheit auseinander. Ein Programm, wie es sich für ein Bühnenfestival gehört – und das doch überraschend ist: Die Schauspielerinnen und Schauspieler, Tänzerinnen und Tänzer sind zu ...
Die sieben Clowns der belgischen Truppe Le Cirque Ouïlle zeigen Zaubertricks, das Theater RambaZamba aus Berlin präsentiert eine «Weiberrevue», die Tanzformationen Compagnie Drift (Zürich) und Cie BewegGrund (Bern) setzen sich tanzenderweise mit Schönheit auseinander. Ein Programm, wie es sich für ein Bühnenfestival gehört – und das doch überraschend ist: Die Schauspielerinnen und Schauspieler, Tänzerinnen und Tänzer sind zu einem Grossteil Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen.
Über die Schwelle
Das Kulturfestival wildwuchs will das Publikum über die Schwelle allzu normierter Vorstellungen von Kunst – und auch von «Behinderung» – führen: «Ein Publikum, das nicht auf die Idee gekommen wäre, ein Konzert einer Behindertenband in einer Behinderteninstitution zu besuchen», erklärt Sibylle Ott, künstlerische Leiterin von wildwuchs. Gleichzeitig stellt sie klar: «Wir setzen nicht auf Behinderten-Bonus und ‹Jö-Effekt›.» Ausgangspunkt sei die Überlegung, dass «alle mit ihren Fähigkeiten und Einschränkungen gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft sind».
Das Publikum reagiere sehr positiv auf die Theater- und Tanzabende, berichtet Festival-Mitgründerin Ott. Die Reaktionen der Nicht-Behinderten berühren sie an den Veranstaltungen jeweils am meisten. «Vor allem im Kopf der sogenannt Normalen existiert eine Schranke. Dieses Rasterdenken wird rasch relativiert im Gespräch mit geistig Behinderten, bei denen vieles vom Bauch oder Herzen her kommt.» Dass die Begegnung
via die Kultur stattfinde, erleichtere vieles, weiss Ott: «Beim kreativen Arbeiten sind Langsamkeit und Nicht-so-logisches-Den-
ken – im Unterschied zur Schule etwa – nicht so relevant. Dadurch entsteht eine andere Form von Respekt voreinander.»
Echt und direkt
Ähnliche Erfahrungen macht Niklaus Waldburger. Der Regisseur präsentiert am wildwuchs im Rahmen des Projekts «Die sieben Todsünden» mit dem Theater Nil eine 15-minütige Produktion zum Thema Hochmut. Die Gruppe von fünf behinderten Schauspielerinnen und Schauspielern sowie einer Profischauspielerin gründete der Theaterpädagoge 2008 gemeinsam mit dem Freizeitzentrum von insieme Basel, einem Verein, der Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf begleitet. Im Stück geht es um einen Sportler, der von seinem Umfeld zunächst kaum wahrgenommen wird. Als er Erfolg hat, wird er als nationaler Held gefeiert. Viele «Menschen mit Einschränkungen», wie es Waldburger formuliert, seien grosse Sportfans. Er vermutet, dass sich «die Behinderten als Fans integriert fühlen. Sie ziehen den Dress ihres Fussballclubs an und gehören dazu.»
Für das Publikum sei «die Echtheit das Eindrückliche», weiss Waldburger. «Das Publikum ist persönlich angesprochen, weil Behinderte so direkt sind. Es ist für sie schwierig, sich zu verbergen.» Für ihn als Regisseur wiederum bestehe die Herausforderung darin, mit den behinderten Schauspielern «auf den Weg zu gehen». Er stosse die Dinge an, mache Angebote und schaue, was passiert. Das ist ein langsamer Prozess, Waldburger filmt bei den Proben, was aus der Improvisation entsteht. «Mit Behinderten zu arbeiten, ist intuitiver als mit Kindern. Es geht darum, zu merken, wo ihr Groove ist, wo sie anspringen.»