«Grazie Maria», «Maria hat geholfen», «Merci à Marie», «Gracias por la ayuda recibida», «Obrigada nossa senhora». Auf dem Weg in die unterirdische Gnadenkapelle von Mariastein zieren Hunderte von steinernen Votivtafeln die Wände. In zahlreichen Sprachen – auch polnisch oder tamilisch gehören dazu – bedanken sich Menschen bei der Gottesmutter Maria für die Hilfe aus einer Notlage oder das Überstehen einer schweren Operation.
Mariastein ist nach Einsiedeln der zweitgrösste Wallfahrtsort der Schweiz. Seine Anziehungskraft schliesst viele Volksgruppen und religiöse Traditionen mit ein. Zu den Wallfahrern, die aus der ganzen Schweiz und dem benachbarten Ausland kommen, gehören Albaner, Italiener, Portugiesen, Philippinos, Spanier oder Slowaken. Und auch katholische oder hinduistische Tamilen verehren «Maria im Stein».
35 Wandervorschläge und ein Begleitbüchlein
Heute reisen die meisten Pilger in Autos und Cars an. Wir steigen in Basel in die S-Bahn nach Zwingen im Laufental, um von dort aus den alten Pilgerweg über den Blauen nach Mariastein unter die Füsse zu nehmen. Mit dabei haben wir das entsprechende Routenblatt aus der neuen Publikation «Heimatschutz unterwegs. Historische Pfade». Der Pappschuber enthält Routenblätter für 35 Wanderungen und ein Begleitbüchlein. Die zwei- bis dreistündigen Wanderungen decken alle Schweizer Regionen ab.
Waldwege und schmale Pfade wechseln sich ab
«Statt einzelner Baudenkmäler stehen Transitlandschaften und Infrastrukturbauten im Fokus», wird im Vorwort festgehalten. Dazu gehören auch Stadtspaziergänge durch Basel, Fribourg, St. Gallen und Zürich. Die Angaben zum «Wanderführer» sind knapp gehalten. Sie konzentrieren sich auf ein paar Kennzahlen, Fotos und die eingezeichnete Route auf der Wanderkarte. Es gilt, Augen und Ohren offenzuhalten und den Weg mit eigenen Sinnen zu entdecken.
Noch lange hören wir die Klänge der Blasmusik auf dem Dorfplatz, als wir Zwingen hinter uns lassen und durch den Wald Richtung Blauen aufsteigen. Die Sonne leuchtet über die Matten und durch den lichten Buchenwald. Das Dorf Blauen liegt friedlich eingebettet am Südhang der gleichnamigen Jurakette. Ein kleines Bistro ist geöffnet, wo die Leute Kaffee trinken und Glacé essen. Oberhalb der charmanten Siedlung, die im Inventar der schützenswerten Dorfbilder enthalten ist, liegt die Blauenweide, ein artenreiches Naturschutzgebiet mit ausgedehnten Wiesen und Sträuchern.
Entlang von prachtvollen alten Eichen und mit Ausblick auf die Passwangkette im Süden zieht sich der Weg dahin. Man geht abwechselnd auf Naturstrassen, kleinen Waldwegen und schmalen Pfaden. Unser Pilgerweg ist nur eine von zahlreichen Möglichkeiten, um im dicht verzweigten Wegnetz am Blauen nach Mariastein zu gelangen. Mal spaziert es sich gemütlich ebenerdig dahin, mal sind kleinere Anstiege zu bewältigen. Im Gasthaus Bergmattenhof lohnt sich ein kurzes Verweilen bei Kaffee und Kuchen, bevor das letzte steile Wegstück auf kalkigem Boden hoch zum Metzerlen Chrüz zu bewältigen ist.
Kaum jemand, der nicht eine Kerze anzündet
Der höchste Punkt der Wanderung (789 Meter) entpuppt sich als schattiger Platz, der mit seiner geheimnisvollen Atmosphäre und den steinernen Zeugen ein Schauplatz der Fantasy-Fernsehserie «Game of Thrones» sein könnte. «Beschütze oh Gott dein Volk durch das Zeichen des hl. Kreuzes» steht auf dem Sockel des alten Kreuzes geschrieben. Ein paar Meter daneben steht eine steinerne Sitzbank auf dem Laubboden. Auffallend auch der Grenzstein aus dem Jahr 1753 mit den Wappen Solothurns und des Fürstbistums.
Vom Metzerlen Chrüz geht der Weg durch Mischwald und zwei grossflächige Lichtungen sanft hinab Richtung Mariastein. Bald erblicken wir die Zinnen der Burg Rotberg. Der Sitz der Herren zu Rotberg geht auf das 13. Jahrhundert zurück. 1934 wurde die Ruine wiederaufgebaut und dient seither mit ihrem ritterlichen Ambiente als beliebte Jugendherberge. Von Rotberg ist es nur noch ein Katzensprung bis zur Klosterkirche Mariastein.
Die Messe ist zu Ende, die letzten Orgeltöne verklingen. Schwer hängt der Duft von Weihrauch im neubarocken Kirchenraum. Der Hochaltar wurde 1680 vom französischen König Ludwig XIV. gestiftet. Ein Deckengemälde zeigt das Wunder von Mariastein, das den Grundstein des 1648 erbauten Klosters legte. Ende des 14. Jahrhunderts soll ein kleiner Knabe über die Felswand ins Tal hinuntergefallen sein, während seine Mutter in einer Felsenhöhle schlief. Aber er blieb unverletzt, weil ihn laut der Legende eine Frau – die Gottesmutter Maria – aufgefangen hatte.
Aus der ehemaligen Felsenhöhle entstand die heutige Gnadenkapelle. Sie wird im Jahr 1434 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Ein langer Gang und eine Treppe mit 59 Stufen führen uns zum Herzstück dieses Wallfahrtsortes. Die Besucher sitzen oder knien vor dem Gnadenbild der lächelnden Madonna, die das Jesuskind auf dem rechten Arm hält. Hier finden sie Hilfe und Trost oder lassen die von Kerzenschein erleuchtete Atmosphäre auf sich wirken. Kaum jemand, der nachher nicht zur Wandnische tritt, um eine Kerze anzuzünden.
Das letzte Wegstück nach Flüh wird auf einer kleinen Asphaltstrasse zurückgelegt. Nach 20 Minuten erreichen wir den Platz, wo die gelben Trams halten und die Pilger durch die ländlichen Agglomerationsgemeinden wieder zurück nach Basel fahren.
Buch
Heimatschutz unterwegs. Historische Pfade
Mit Übersichtsbroschüre und 35 Routenblättern
Zweisprachig D/F
(Schweizer Heimatschutz 2018)
Kulturelle Wanderführer aus der Schweiz
Zum 10-Jahr-Jubiläum des Unesco Welterbes Sardona ist ein Kunst- und Wanderführer erschienen. Sechs beschriebene Wander- und Bergtouren verbinden 24 Kunst-Projekte, die «Steinreise», die Wanderausstellung sowie drei Land-Art-Projekte.
www.tektonik.ch
Im vielfältigen Angebot an besonderen Wanderführern hat der Rotpunktverlag auch Kunstwanderführer (Berner Oberland, Graubünden). Neu erschienen ist «Wunderbar schwerelos zeigt sich die Welt» mit einer Auswahl von «literarischen Wanderungen» in der Schweiz. Ruth Michel Richter/Konrad Richter: Wandern wie gemalt. Auf den Spuren bekannter Gemälde (Rotpunktverlag) Andreas Simmen: Wunderbar schwerelos zeigt sich die Welt (Rotpunktverlag)
Das Programm «Kulturwege Schweiz» hat ein Netz von historischen Verkehrswegen und Routen in der ganzen Schweiz erarbeitet. Für diese Routen stehen verschiedene Wanderführer zur Auswahl.
www.kulturwegeschweiz.ch/bestellungen/wanderfuehrer
Besondere Kulturweg-Routen auf historischen Wegen und Strassen gibt Via Storia heraus. Aktuell ist «Via Storia – Magazin Wallis».
www.weberverlag.ch/bücher/wandern-alpen-berge/viastoria-magazin-wallis
Das Buch «Die 12 Kulturwege der Schweiz» rückt die kulturlandschaftlichen Attraktionen und regionalen Besonderheiten in den Mittelpunkt.
Lukas Müller: Die 12 Kulturwege der Schweiz (Friedrich Reinhardt Verlag)