Der Spion, der in die Kälte ging
Was führt die russische Geheimgruppe Stalnaja Ruka, zu Deutsch Stahlhand, im Schilde? Das kann nur einer herausfinden: James Bond. Anthony Horowitz schickt 007 in seinem dritten Fortsetzungsroman der Bond-Reihe auf Undercover-Mission in Russland.
Der englische Autor hat auch seinen Krimi «Mit der Absicht zu töten» in den Zeitstrahl von Ian Flemings Büchern eingefügt: Der Roman setzt 1964 kurz nach den Geschehnissen von «Der Mann mit dem goldenen Colt» ein. Dabei greift er geschickt Handlungsstränge aus Flemings letztem Bond-Abenteuer auf: KGB, Gehirnwäsche und Brudermord. «Mit der Absicht zu töten» ist nicht Horowitz’ stärkster Bond-Roman, er bietet aber packende Unterhaltung und setzt keine Vorkenntnisse der Reihe voraus.
Der Thriller überzeugt, wenn er ins Innere eines verbrauchten 007 blickt oder wenn Szenen psychologischer Folter Len Deightons labyrinthischen Roman «Ipcress – streng geheim» evozieren. Etwas anachronistisch wirkt der Krimi, wenn Horowitz Flemings Klischees der Sowjetunion aufleben lässt.
Spannung: 4/5
Unterhaltung: 3/5
Humor: 1/5
Gesellschaftskritik: 1/5
Anthony Horowitz - James Bond – Mit der Absicht zu töten
Aus dem Engl. von Stephanie Pannen
336 Seiten (Cross Cult 2022)
Im Herzen der Finsternis
Ein Lynchmord an drei Studenten in der abgelegenen nigerianischen Unistadt Port Harcourt steht im Mittelpunkt von Femi Kayodes Krimi «Lightseekers». Ein Handy hält das Martyrium der angeblichen Diebe fest. Diesen Film sieht der Kriminalpsychologe Philip Taiwo Monate später. Er untersucht den Fall als Ermittler im Auftrag eines reichen Bankers aus der nigerianischen Hauptstadt. Dessen Sohn war eines der Opfer. Taiwo hat lange in den USA gelebt. Seit der Rückkehr ist er ein Fremder. In Port Harcourt stösst er auf die gesellschaftlichen Probleme seines Landes: Drogenhandel, Bandengewalt, Konflikte zwischen Stämmen, Religionsgemeinschaften – die Polizei ist überfordert. «Lightseekers» basiert auf realen Begebenheiten. Auch der Autor ist Nigerianer und Psychologe. Zuweilen wirkt der Thriller zwar zu überladen. Doch das macht Kayode durch Spannung und den spürbaren Aufklärungswillen wett – und durch die Lichtstrahlen, die er in dieses Herz der Finsternis schickt.
Spannung: 5/5
Unterhaltung: 2/5
Humor: 1/5
Gesellschaftskritik: 5/5
Femi Kayode - Lightseekers
Aus dem Englischen von Andreas Jäger
464 Seiten (BTB 2022)
Mord auf dem Monte Generoso
Mit Ermittlerin Emma Tschopp und Commissario Marco Bianchi hat die Luzerner Schriftstellerin Sandra Hughes ein sympathisches Duo geschaffen, das im Tessin kniffligen Fällen nachgeht. Im dritten Fall «Tessiner Verderben» haben die beiden es mit einem mysteriösen Mord zu tun: Auf dem Monte Generoso wird eine mit Blumen geschmückte Frauenleiche gefunden. Sie wurde in einem der Kalkstein-Rundbauten, den sogenannten Nevère, aufgebahrt, die den Bauern früher zur Milchkühlung dienten. Sandra Hughes findet für ihren Krimi eine originelle Umsetzung: Aus unterschiedlichen Sichtweisen rollt sie den Fall auf – etwa aus dem Blickwinkel von Emma, ihrem Labrador Rubio, der verstorbenen Seele oder des Mörders. Die Tessiner Landschaft und Kulinarik sowie das tatkräftige Ermittlerpaar sind zwar Garanten für einen Wohl- fühlkrimi – kontrastierend dazu stehen jedoch die Szenen aus der Vergangenheit, in denen aufgerollt wird, wie es zu diesem brutalen Mord kommen konnte. Die Spannung in diesem gut gebauten Krimi hält sich bis zum Schluss.
Spannung: 4/5
Unterhaltung: 5/5
Humor: 3/5
Gesellschaftskritik: 3/5
Sandra Hughes - Tessiner Verderben
272 Seiten (Kampa 2022)
Kein Entrinnen
Die Ärztin Judy Winter trifft kurz vor ihrer Hochzeit auf ihre erste Liebe Liam. Er bittet sie, seinen Wagen an einem Wochenende von London nach Norfolk zu fahren und ihn dort in einem Cottage zu treffen. Nach kurzem Zögern willigt sie ein. Doch Liam erscheint nicht am vereinbarten Ort – er wurde ermordet. Das englische Autorenpaar Nicci Gerrard und Sean French hat mit «Tödliche Schuld» einen Krimi geschrieben, der mehr liefert als das Genre üblicherweise zu bieten hat. Es zeichnet ein Sittenbild der modernen englischen Gesellschaft im nordöstlichen Stadtteil Londons rund um die Wetlands. Allmählich erschliesst sich, weshalb Judy Liams Bitte nachgekommen ist – sie hatte allen Grund dazu. Doch damit reitet sich die Ärztin in ein Chaos, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Autoren verstehen es meisterhaft, Alltägliches in einem ungewohnten Licht erscheinen zu lassen – in einem abgrundtief bösen.
Spannung: 4/5
Unterhaltung: 5/5
Humor: 2/5
Gesellschaftskritik: 4/5
Nicci French - Tödliche Schuld
Aus dem Engl. von Birgit Moosmüller
432 Seiten (C. Bertelsmann 2022)