Mit den grellen Bildern des Triptychons «Grossstadt» des deutsch-amerikanischen Künstlers George Grosz eröffnet Philip Kerr «Metropolis». Es ist sein letztes, 2018 kurz vor seinem Tod fertiggestelltes Buch. Und es beendet eine drei Jahrzehnte währende Karriere des Detektivs Bernie Gunther, welche die Weimarer Republik und die dunklen Jahre des Nationalsozialismus überdauerte. In seinem zwölften und vorletzten Auftritt («Kalter Frieden») hatte dieser Bernie Gunther, alt geworden, sich 1956 an der Côte d’Azur zwischen den Fronten des Kalten Kriegs wiedergefunden. Nun kehren wir in «Metropolis» an seine Anfänge zurück.
Verzweiflung, Hass, Verderbtheit und Tod
1928 wird der junge, noch vom Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg gezeichnete Polizist aus dem Sittendezernat zur Berliner Kriminalpolizei versetzt. Während in den Nachtlokalen Lust und Laster blühen und auf den Strassen bereits die Kämpfe zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten toben, soll Bernie Gunther eine rätselhafte Mordserie aufklären. Die Opfer sind lauter Prostituierte, die der Mörder zuerst erschlägt und dann skalpiert. Manche finden es zwar nicht schade, dass es gerade diese Frauen trifft. Sie hätten auch nichts dagegen, wenn die vielen Kriegsversehrten von den Strassen verschwänden. Der Mörder äussert solche Gedanken auch in den Briefen, die er den Zeitungen zusammen mit Beweisstücken zukommen lässt. Doch Bernie Gunther ist da wieder einmal ganz anderer Meinung.
Rund um die Ermittlungen zeichnet Philip Kerr das zutiefst schockierende Bild einer Stadt, die der leibhaftig auftretende George Grosz «die Hauptstadt der Hölle» nennt. Verzweiflung, Hass, Angst, Verderbtheit, Tod sind seine Themen als Künstler. Grosz findet: «Nach den Schützengräben gibt es keine schönen Mädchen mehr.»
Zwar teilt Bernie Gunther diese Ansicht nicht, für ihn gibt es sehr wohl schöne Frauen, und die eine oder andere lässt sich von ihm auch erweichen. Aber er spürt doch deutlich, dass hier eine Welt am Abgrund steht. Und in den Abgrund der Berliner Unterwelt schaut er dann selber, nachdem er eine überraschende Entdeckung gemacht hat. Mehr sei hier nicht verraten.
Nur der schwarze Humor macht die Welt erträglich
«Im Grunde bezahlt die Stadt Dich dafür, dass Du in die Hölle gehst und zurück», schreibt seine Freundin ihm in ihrem Abschiedsbrief. Bernie Gunther ist eine der eindrucksvollsten, weil zwiespältigsten und moralisch mehr und mehr befleckten Ermittler-Figuren, die Krimiautoren je ersonnen haben. Seine Welt entspricht bis in die Details hinein der historischen Realität. Und diese Realität ist so düster und blutig, dass nur Philip Kerrs schwarzer britischer Humor sie erträglich macht.
Wer diese Welt in einer nahezu operettenhaften – und umso schrecklicheren – Episode studieren will, lese Kerrs «Operation Zagreb», erschienen auf Deutsch im Jahr 2017. Dort wird mitten im Zweiten Weltkrieg auch die Schweiz zum Schauplatz, genauer Schloss Wolfsberg im Thurgau, wo Philip Kerr sich umgesehen und wie immer sehr gut recherchiert hat.
Buch
Philip Kerr
Metropolis
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
400 Seiten
(Wunderlich 2021)