«Sich ärgern, war die einzige Sache, die man mit zunehmendem Alter immer besser konnte.» Nach diesem Grundsatz schlurft der Journalist Kurt Weilemann durchs Pensionisten-Leben. Der alte Griesgram und Zyniker in Lewinskys neuem Roman ist überzeugt, dass die Jungen aus seiner Berufszunft nichts mehr taugen: «Eigentlich war Sarkasmus bei solchen Leuten ja reine Verschwendung, denen pustete man schon auf der Journalistenschule jeden Sinn für Humor aus dem Hirn», denkt er sich etwa nach einem Telefonat mit einem Jüngling der «Weltwoche». Für die Zukunft seines Landes sieht Weilemann noch schwärzer: Denn in der Schweiz regiert einzig eine national-populistische Partei, die Eidgenössischen Demokraten. Die Medien und die Schulen sind gleichgeschaltet, Überwachungskameras überall. Das Ordnungsamt kontrolliert jeden Schritt der Einwohner, und die Wiedereinführung der Todesstrafe steht bevor.
Der einsame Journalist, dem die Leser durch seinen inneren Monolog folgen, suhlt sich in Pessimismus und «halbtoter Lebendigkeit». Geblieben ist ihm nur die Lust an der Sprache. Einen Schreib-Auftrag erhält er allerdings höchstens noch, wenn er einen Nachruf auf einen Ex-Kollegen schreiben soll. Ein «Fossil» nennt er sich selbst und zeigt nebst seiner grantigen Art zumindest viel Selbstironie. Doch dann wird sein alter Jagdinstinkt geweckt: Als sein ehemaliger Kollege Felix Derendinger unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt, nicht ohne ihm vorher einige kryptische Botschaften zu hinterlassen, nimmt er die Spur auf.
Ein zynisches Zukunftsszenario
Einen zusätzlichen Antrieb verleiht ihm die junge attraktive Eliza, die sich als Derendingers Gespielin vorstellt – und als Sextherapeutin, die auf ältere Herren spezialisiert ist. Sie will ihn bei seinen Recherchen unterstützen. Weilemann hegt freilich noch andere Träumereien… Trotz Hormonrausch deckt er mit akribischer Recherche tatsächlich ein Komplott auf – und begibt sich in Lebensgefahr.
Der Zürcher Autor Charles Lewinsky zeigt sich in seinem neuen Roman gewohnt unterhaltsam und bissig. Zum Krimi-Genre sagte er kürzlich der «Sonntagszeitung»: «Ich bemühe mich, aber aus reinem Egoismus, nie zweimal das gleiche Buch zu schreiben. Ich musste im Fernsehen genug Serien texten, wo man eigentlich immer das Gleiche nochmals schreibt. Ich probiere gerne neue Formen aus.» Der Krimi-Versuch überzeugt allerdings nur halbwegs, da mehrere Wendungen schon früh voraussehbar sind.
Einen bleibenden Eindruck hinterlässt hingegen das Zukunftsszenario. Bereits in seinem Band «Schweizen» (2013) hatte Lewinsky mit «24 Zukünften» die Schweiz pointiert aufs Korn genommen. Die Dystopie im Roman «Der Wille des Volkes» ist ebenfalls lustvoll übertrieben, aber von aktuellen politischen Tendenzen gar nicht so weit entfernt. Bitterböse gibt er sich in der Beschreibung politischer Zustände in der Schweiz, in der die Bürger zum Nicht-Denken angehalten werden. Auch beim Thema Alter kommt der Zynismus des Autors zum Zug: etwa bei der Beschreibung einer munteren Senioren-Carfahrt, deren Höhepunkt nach dem Mistkratzerli-Schmaus die Besichtigung einer einstigen Folterkammer ist.
Buch
Charles Lewinsky
«Der Wille des Volkes»
384 Seiten
(Nagel und Kimche 2017).
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