Ein Toter ohne Nase und ein abgetrenntes Ohr, das in einem Mayonnaiseglas unter der Bank einer Wallfahrtskappelle gefunden wird: Ermittler Anselm Anderhub aus dem luzernischen Sursee muss sich diesmal mit einem besonders makabren Fall herumschlagen, der ihm fast den Appetit auf seine heissgeliebten «Gnagis» verdirbt. Zum fünften Mal schickt Peter Weingartner seinen knorrigen Kommissar mit dessen Team, das sich diesmal passenderweise «Soko Nase» nennt, auf Spurensuche.
Schauplatz des Mords ist die Autobahnraststätte SempachNeuenkirch. Von da gehen die Ermittlungen quer durchs Luzerner Hinterland.
Schwarzer Humor und Gesellschaftskritik
Eine Fährte führt in kirchliche Kreise nach Aberwil, in die fiktive Heimat von Anselms Angetrauter Trudi. Dort liegt offenbar einiges im Argen, wie die Ermittler bald feststellen. Die «Stellvertreter des Allmächtigen» scheinen laut Dorfgerüchten beileibe nicht nur Ehrenmänner gewesen zu sein ...
Nicht fehlen darf der wandernde Witwer Melchior Kaufmann, den Anderhub-Fans aus anderen Bänden kennen: Anderhubs Verwandter im Geiste, der bereits mehrmals über Mordopfer gestolpert ist und in «Knorpel» wiederum zwei grausige Entdeckungen macht. Der 70-jährige Autor aus dem luzernischen Triengen reichert seinen neuen Krimi mit viel Lokalkolorit an, sowohl geografisch als auch mit Dialekt-Einsprengseln. «Knorpel» und seine Vorgänger lassen sich aber nicht einfach in die Schublade Regiokrimi stecken.
Denn Peter Weingartner bietet mehr: eine grosse Portion schwarzen Humor, Gesellschaftskritik und eine ganz eigene Sprache. Die Sätze sind zwar zuweilen etwas umständlich, aber langsameres Lesen lohnt sich, denn sie bergen viel Wortwitz. So wird dem Polizisten etwa bewusst, «dass in jedem Gesellen ein Esel steckt, ziemlich mittig. Er denkt dabei an eine Umschreibung im Kreuzworträtsel: Vierbeiner im ausgelernten Handwerker.» Und aus den Wörtern «Bekehrung» und «Belehrung» kreiert er die Wortschöpfung «Beklehrung», die besonders gut zur Aberwiler Kirchengemeinde passt.
Absaufen ins gedankliche Pingpongspiel
Anselm Anderhub ist sowohl ein Menschenfreund in der Tradition von Friedrich Glausers Wachtmeister Studer als auch Gelegenheitsphilosoph und passionierter Kreuzworträtsler. Bei der Arbeit verstrickt er sich oft in allerlei Gedankengänge, wie Weingartner schreibt:
«Anderhub wehrt sich in diesem Augenblick gegen das Absaufen ins gedankliche Pingpongspiel, denn er möchte sich erholen, obwohl er weiss: Ist die Maschine einmal angeworfen, kann kein Wille sie stoppen.» Aus den versponnenen Schlaufen erwächst durchaus mal ein Gedanke, der zur Lösung des Falls beiträgt. «Auslegeordnung machen statt dreinschiessen», ist Anderhubs Motto, und dementsprechend gemächlich geht er den Weg zum Ziel an.
Der Krimi selbst nimmt aber schnell an Fahrt auf und bietet nebst brisanten Gesellschaftsthemen schräge Unterhaltung im besten Sinne.
Buch
Peter Weingartner
Knorpel
304 Seiten
(Edition 8 2023)