Die Ermittler der Morduntersuchungskommission Gera kümmern sich gemeinhin um Suizide oder Tötungsdelikte in der Familie. Nun aber liegt die übel zugerichtete Leiche eines Afrikaners mit zertrümmertem Schädel neben den Zuggleisen zwischen Jena und Saalfeld in Thüringen. Wer tut so etwas? Und das in der friedlichen DDR?
Max Annas (56), dreifacher Deutscher Krimipreis-Träger, lässt in seinem vielschichtigen Kriminalroman DDR-Polizisten im Herbst 1983 in einem bestialischen Mord an einem jungen Mosambikaner ermitteln. Das Opfer war Vertragsarbeiter. So nannte man die Zehntausenden Menschen aus sogenannten sozialistischen Bruderländern wie Kuba, Algerien, Mosambik, die für ein paar Jahre unterbezahlt in DDR-Fabriken schufteten.
Annas rückt ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte ans Licht, das Schatten wirft: die Tabuisierung rechtsradikaler Gewalt nach 1945. Er erzählt aus der Perspektive von Oberleutnant Otto Castorp. Der ist Anfang 30, ein guter Polizist und biederer Familienvater. Er glaubt an den antifaschistischen Gründungsmythos der DDR, aber auch daran, dass die Polizei jeden Mord ahnden muss, um die Ordnung wiederherzustellen.
Castorp und seine Kollegen klappern die Heime der Vertragsarbeiter ab. Sie rekonstruieren den Tathergang: Mehrere Täter verprügelten das Opfer, knebelten und hielten es kopfüber aus dem fahrenden Zug. Eine monströse Tat. Im Gespräch mit dem kulturtipp erklärt der Autor, dass er in seinem Roman den realen Mord an Manuel Diogo durch ostdeutsche Neonazis im Juni 1986 verarbeitet hat. Ein Freund von Diogo habe ihm Details erzählt und mit weiteren mosambikanischen Vertragsarbeitern bekannt gemacht. Viele von ihnen hätten in der DDR rassistische Anfeindungen und Angriffe erlebt.
Ein Fall von staatlichem Zynismus
Castorps Chef verkündet später das Ende der Ermittlungen. Der Staat will den Mord totschweigen. Er schickt den Leichnam im verplombten Sarg nach Maputo. Der Mann sei Opfer eines Arbeitsunfalls geworden. Auch beim realen Neonazi-Mord unterdrückte die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) die Wahrheit. Annas erklärt das im Gespräch damit, dass die DDR «ein autoritär und national aufgestellter Staat» war, der nicht akzeptierte, dass seine Bürger nicht wie vorgesehen funktionierten: «Dass jemand Angehörige eines sozialistischen Brudervolkes ermordet, konnte nicht sein.»
Nur Castorp will die Mörder nicht ungestraft davonkommen lassen. Er ermittelt im Geheimen weiter, observiert Bahnhöfe – und entdeckt ein Netzwerk aus Neonazis, die enge Kontakte zu Gesinnungsgenossen im Westen pflegen. Von seinem Bruder Bodo, einem Stasi-Offizier, erfährt er, dass der Geheimdienst sie gewähren lässt, weil die BRD auch Neonazis freikauft und in den Westen holt. Die DDR kann so neofaschistische Tendenzen in der BRD anprangern. Ein Fall von staatlichem Zynismus.
Deutschlands Versagen im Kampf gegen rechts
Das neue Buch ist der Auftakt zu einer Serie. Es gibt fast keine Krimis aus der oder über die DDR. Die SED-Ideologen fanden, dass es im Sozialismus viele Verbrechen nicht geben konnte. Auch der Berliner Autor betritt Neuland. Seine bisherigen Thriller überzeugten durch vife Plots und Action. Diesmal nimmt er sich Zeit, um von der akribischen Polizeiarbeit und den Gewissensnöten seines Protagonisten zu erzählen.
Zugleich will er in seiner Serie «deutsche Geschichte neu betrachten und neue Bilder anbieten». Das tut er beim Thema rechte Gewalt. Seit den Ausschreitungen in Chemnitz vor einem Jahr und den Erfolgen der AfD läuft die Debatte, wie ausländerfeindlich und autoritär ehemalige DDR-Bürger und ihre Nachkommen sind. Annas zeigt nun, dass Neonazis und deren Gewalt zum Alltag der DDR gehörten. Der SED-Staat leugnete das jedoch, um sich als besseres Deutschland zu präsentieren. Annas betont, dass sein Roman auch die BRD und das grössere Deutschland im Blick habe. Auch sie hätten oft im Kampf gegen rechts versagt – etwa bei der schleppenden Aufklärung der neun Morde an Migranten durch die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).
Der Autor lässt nie einen Zweifel aufkommen, wem seine Sympathie gehört: den wehrlosen Afrikanern, welche die DDR als billige Arbeitskräfte ins Land holte, aber nicht vor Hass und Gewalt schützte.
Buch
Max Annas
Morduntersuchungskommission
352 Seiten
(Rowohlt 2019)