Manuel Chrysoloras war Anfang 40, als er seine Heimat verliess und die Reise antrat, die 20 Jahre später am Konzil von Konstanz endete. Um 1350 in Konstantinopel geboren, studierte er die Schriften der griechischen Philosophen, und mit seinem Mentor zusammen reiste er 1391 erstmals nach Venedig. Dort machte Chrysoloras die Bekanntschaft eines bildungshungrigen Florentiners, dank dessen Vermittlung er 1396 auf den von Boccaccio geschaffenen Lehrstuhl für griechische Sprache an der Universität Florenz berufen wurde. Einem aufgeschlossenen Zeitgenossen wie Manuel Chrysoloras musste damals klar gewesen sein, dass die Zukunft im Westen lag.
Nur fünf Schüler
In jener Zeit dominierten Juristen die Universitäten. Der Griechischlehrer im Kaftan, mit langem Bart und mit fremdländischem Akzent muss sich eigentümlich ausgenommen haben neben den redegewandten Professoren in ihren roten Roben. Chrysoloras seinerseits dürfte kaum den Vorstellungen seiner Dienstherren entsprochen haben. Wesentlicher aber war, dass sein Unterricht – wörtlich – keine Schule machte. Obwohl der Wunsch, die antiken Philosophen im Original zu lesen, im Westen lauter wurde, hatte der Gelehrte in seiner Klasse nie mehr als fünf Schüler. Bereits in der Mitte der vereinbarten Lehrzeit verliess er Florenz.
Wenig später reiste Chrysoloras als subalterner Gesandter Konstantinopels durch Italien, von dort nach Paris, London, Salisbury, Barcelona und Toulouse, um Unterstützung für die oströmische Sache zu finden – immer erfolglos. Schliesslich wurde Chrysoloras nach Como geschickt, um mit Gelehrten um den hoch gebildeten deutschen König Sigismund von Luxemburg (1368–1437) Traktanden und Tagungsort des geplanten Konzils von Konstanz festzulegen, das die gespaltene katholische Kirche einen sollte.
Im Jahr 1414 kam Chrysoloras nach Konstanz. In den Aufzeichnungen des Konstanzer Chronisten Ulrich von Richental wird die Ankunft einer griechischen Delegation zwar erwähnt, aber Spuren hinterliess sie keine. Auch der Kaiser im fernen Konstantinopel dürfte inzwischen begriffen haben, dass er mit Chrysoloras keinen Staat machen konnte, und hatte ihn wohl fallengelassen. Der Reisende fand als unbedeutendes Mitglied der italienischen Delegation im Dominikanerkloster, dem heutigen Inselhotel, eine Bleibe. Obwohl er weder Mönch noch Priester war, hat Chrysoloras nie geheiratet und blieb kinderlos. In den wenigen erhaltenen Briefe kann man eine mehr als nur väterliche Zuneigung zu seinen Schülern hineinlesen. Aber es fehlt jeder Hinweis, dass diese Gefühle erwidert wurden. Der «Lausbart», wie ihn ein florentinischer Zeitgenosse nannte, starb während der ersten Monate des Konzils im April 1415 fast unbemerkt.
Spätere Verklärung
Mit über 60 Jahren hatte Chrysoloras ein für die Zeit ansehnliches Alter erreicht. Er musste erschöpft gewesen sein von seinen aussichtslosen Bemühungen, mitgenommen von den beschwerlichen Reisen. Wahrscheinlich irritierte ihn auch die von Klerikern, Ketzern, Händlern und Huren überlaufene deutsche Kleinstadt, in die es ihn verschlagen hatte. Als gläubiger Mensch wird er mit dem Übertritt in eine bessere Welt nicht gehadert haben. Während sein Leben im Kloster endete, schmachtete in dessen Keller etwa gleichzeitig der christliche Theologe und Reformer Johannes Hus.
Sicher rechnete Chrysoloras nicht damit, dass man ihn nach seinem Tod auf einer Gedenktafel als «gelehrten und klugen Ritter aus altem Adelsgeschlecht» bezeichnen würde. Noch mehr hätte er über jene gestaunt, die behaupteten, bei ihm Griechisch gelernt zu haben – manche davon wurden erst nach seinem Tod geboren. Und dass man in ihm gar einen Wegbereiter der Renaissance sah, hätte ihm die Sprache verschlagen.
Griechische Grammatik
Doch Manuel Chrysoloras’ Erklärungen zur griechischen Grammatik, die er wohl für seine florentinischen Schüler aufschrieb, verbreiteten sich dank Gutenbergs Druckerpresse und wurden zum Standardwerk. Die erste griechische Grammatik für Nicht-Griechen, die Erotemata – nach Erotema (die Frage) – machte Chrysoloras posthum berühmt. Jeder Humanist, der etwas auf sich hielt, bezog sich auf ihn, und sein fiktives Porträt – auf dem er aussieht wie ein zorniger Kleinbauer – schmückt die Titelseite ihre Abhandlungen.
Heute erinnert ein von Eberhard von Zeppelin, dem Bruder des Luftschiffbauers und ersten Besitzer des Inselhotels, in Auftrag gegebenes Freskengemälde im Kreuzgang des früheren Dominikanerklosters an Manuel Chrysoloras’ Tod. Anlässlich der 600-Jahr-Feier des Konzils spaziert der kosmopolitische Versager noch einmal durch die Stadt. In einem Gespräch, das sich als App herunterladen lässt, unterhält er sich mit König Sigismund über Relevanz und Auswirkungen des Konzils, das Verhältnis zwischen Ost und West, Ideal und Wirklichkeit und über das, was alle Menschen bewegt: Liebe und Tod.
Konstanzer Konzil
Im Frühjahr begann in Konstanz das vier Jahre dauernde Konziljubiläum, das von der Stadt so gründlich geplant wurde wie das Konzil vor 600 Jahren. Anstatt mit Prozessionen und Turnieren werden die Besucher von heute mit Aufführungen, Konzerten, Symposien und Festen unterhalten. Das Konzilgebäude, einst das Kaufhaus, in dem – für die Konklave umgebaut – die Papstwahl stattfand, mit der das Konzil endete, beherbergt in diesem Sommer die Grosse Landesausstellung, die das «Weltereignis des Mittelalters» in einen kirchen- und kulturgeschichtlichen Rahmen stellt. Im Rosengartenmuseum kann man sich über den Konzilalltag informieren, und im Archäologischen Landesmuseum sind die damaligen Ereignisse in Playmobil-Modellen nachgestellt.
Vollständiges Programm auf:
www.konzil-konstanz.de