Im Jahr 2009 beschäftigte ein Justizfall die französische Öffentlichkeit. In den Pyrenäen wurde Xavier Fortin wegen Kindsentführung verhaftet. Seit 1997 war er mit seinen Söhnen untergetaucht, die der Mutter zugesprochen worden waren. An den Fall Fortin erinnert Jean Denizots Erstling «La belle vie». Der französische Regisseur lehnt sich an diese Begebenheit an, ohne aber eine Doku-Fiction vorzulegen. Er nimmt die Motive des Geschehenen auf, um sie künstlerisch eigenständig zu gestalten.
Die Geschichte beginnt idyllisch: Gezeigt wird eine beschauliche ländliche Welt irgendwo in Frankreich. Am frühen Morgen wird im Nebel eine Kutsche angespannt und beladen: Käse, Eier, Honig in Gläsern, die zwei Jungen im Dorf auf dem Markt feilbieten. Die kleine Landwirtschaft in den Bergen betreibt ein bärtiger Vater (Nicolas Bouchaud) mit seinen beiden Söhnen.
Immer auf der Flucht
Die Brüder Sylvain (Zacharie Chasseriaud) und Pierre (Jules Pélissier) reiten am Abend zum Dorffest. Es kommt zu einer harmlosen Rauferei mit Folgen. Flugblätter mit Steckbriefen tauchen auf, die Dorfbewohner beschimpfen sie als «Zigeuner». Es bleibt nur die Flucht; sie kommen bei ihrer Vertrauten Eliane unter. «Weiterziehen, alles verlieren, den Namen wechseln, lügen: Schaut doch, wie absurd euer Leben ist.» So bringt Eliane die Lage der drei auf den Punkt.
Vater Yves, der 16-jährige Sylvain und der 18-jährige Pierre sind eine Art Sans-Papiers im eigenen Land. Sie leben seit elf Jahren ein Leben im Versteckten, in ständiger Furcht, entdeckt zu werden. Immer haben sie zum Vater gehalten, unter den widrigsten Umständen. Doch es kommt die Zeit der Ablösung. Pierre ist mit dem Pferd davongeritten – nach Orléans. Dort soll auch ihre Mutter sein. Pierre am Telefon zu Sylvain: «Ich habe eine eigene Bude, ein Gehalt.» – Sylvain: «La belle vie, quoi.» Das reicht schon als bescheidener Anspruch auf ein «schönes Leben». Vor allem, wenn bisher konstanter Ausnahmezustand die Welt der beiden Brüder ausmachte.
Sylvain und Vater Yves haben inzwischen auf einem verlassenen Loire-Boot Unterschlupf gefunden. Da lernt Sylvain Gilda (Solène Rigot) kennen, Tochter eines verschrobenen Arztes. Gilda wird Sylvains erste Liebe. Diese Erfahrung verstärkt seinen Wunsch auf ein anderes, normales Leben. Auch Vater Yves merkt, dass sich die Zeiten wandeln. «Wenn die Bullen kommen», gesteht er Sylvain, «ergebe ich mich. Ich will einen Prozess.» Sylvain: «Wir werden da sein und dich verteidigen.»
Sylvains Reiselektüre sind «Die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn». Auch wenn da etwas romantisch auf Literarisches verwiesen wird – der Film kommt ohne Sentimentalitäten aus. Er verklärt nichts, sondern zeigt eine Familie in extremer Lebenslage und wie die Sehnsucht nach Normalität erwacht.
La belle vie
Regie: Jean Denizot
Ab Do, 24.7.